Letztens, ich saß an meinem Schreibtisch mit gespitztem Bleistift, vor mir ein geöffnetes Notizbuch, bekam ich Nasenbluten. Nicht den Kopf in den Nacken legen, bloß nicht den Kopf nach hinten! Ich ließ ihn also nach vorne hängen und Blut tropfte über meine Nasenspitze auf das Papier.
Allmählich bildeten die Tropfen Muster und Formen. Kaum dass ich in der oberen Ecke der Seite das Gesicht Hermann Rorschachs erkannte, richtete er bereits das Wort an mich.
„Es ist meine feste Überzeugung“, sagte er mit unverkennbar schweizerischer Färbung im Tonfall, „dass der Rock ’n‘ Roll jeden Krieg, jeden bewaffneten Konflikt seit 1957 zu verantworten hat. Die sexualisiert-rhythmische Dynamik dieser Musik und all ihrer Derivate treibt die Menschen in einen hypnoseähnlichen Wahnsinn, der zwangsläufig zu Gefechten und Kampfhandlungen führt.“
Das war natürlich himmelschreiender Blödsinn, ich verkniff mir jedoch aus taktvoller Rücksichtnahme auf seine Lebensleistung alle Einwände. Und so protestierte ich auch nicht, als er mich fragte, ob er mir ein Gedicht vortragen dürfe, das ihm schon seit Jahrzehnten nicht aus dem Kopf ginge.
„Wenn ich durch die Straßen geh‘ / und all die hellen Fenster seh‘ / wird mir oft so schwer zumut‘ / Einsamkeit tut mir nicht gut.“
Ich hob ob des Vortrags unwillkürlich eine Augenbraue und schämte mich, dem bedeutenden Psychiater nicht mehr Respekt zollen zu können. Die Blutung war in der Zwischenzeit versiegt, ich riss die Seite aus dem Notizbuch heraus, knüllte das Papier zu einem Ball und warf es über die rechte Schulter in meinen Abfalleimer, der sich darüber nicht einmal wunderte.