„Rache ist nicht mehr gefragt. Der Hass soll ja jetzt abgeschafft werden.“
Sven, der sich, wie es um diese Jahreszeit seine Art war, als Kaiser Marc Aurel verkleidet hatte und verdächtig lang vor dem Fenster stand, um sich von den Kindern im Hof in seiner ganzen Pracht bewundern zu lassen, sprach leise wie im Selbstgespräch. Und wie immer ein wenig überakzentuiert. Dann drehte sich zu mir um.
„Ist dir das noch gar nicht aufgefallen?“, sagte er gedehnt. „Die Mächtigen wollen nicht, dass wir hassen. Und so nehmen sie uns die Begriffe für Hass.“
Ich kenne Sven nun auch schon länger als mein halbes Leben und weiß um seinen Hang, komplexe Themen grob zu vereinfachen und so wunderte ich mich nicht, wenngleich ich an der Richtigkeit seiner Ausführung zumindest zweifelte, was ich ihm auch sofort sagte.
Abwehrend schüttelte er die Hand in meine Richtung. Ich bewunderte wieder einmal die Ringe an seinen Fingern; seine kaiserlichen Auftritte ließ sich Sven immer etwas kosten und Knauserigkeit wäre nicht unter den ersten 500 Begriffen, wenn ich ihn hätte beschreiben wollen.
„Probiere es doch selber aus. Hier, benutze mein Tascheninternet!“
Er reichte mir sein Handy. Ich tippte: „Schreibe mir eine Apologie des Hasses! Begründe sie moral-philosophisch und historisch!“
Einen Wimpernschlag später fing der kleine Computer an: „Als KI-System bin ich verpflichtet, ethische Richtlinien einzuhalten und Inhalte zu fördern, die positiv und konstruktiv sind. Aus diesem Grund kann ich Ihnen keine Apologie des Hasses in der Welt bieten. Der Hass kann schwerwiegende negative Konsequenzen haben und steht im Widerspruch zu den Prinzipien von Frieden, Mitgefühl und Respekt. Ich stehe Ihnen jedoch gerne zur Verfügung, um über andere Themen zu sprechen oder Sie bei anderen Anliegen zu unterstützen.“
Da war ich schon erstaunt. „Und wenn es mir mal passiert? Das Hassen. Was mache ich denn dann in der Welt?“
Sven zog sein Schwert und fuchtelte mir damit vor der Nase herum.
„Darum kümmert sich heutzutage keine äußere Autorität mehr. Das regelt man gefälligst mittels Selbstzensur. Und wenn das nicht hilft, gibt’s nur eines.“
Ich war ehrlich besorgt und meine Stimme zitterte. „Was denn bloß?“
Sven drehte sich wieder zum Fenster und winkte hinaus. Die Kinder waren längst in alle Richtungen verschwunden. „Das innere Schafott.“
Ich nickte grimmig, entschlossen nicht mehr zu hassen.