„Geh nicht in den Keller!“, sagte Mutter immer. „Dort lebt der Dicke Schatten.“
Und der gehorsame Junge, der ich war, ging nicht in den Keller; zu groß die Furcht vor dem Dicken Schatten. Meine Mutter, die ich als eine äußerst pragmatische Frau kannte, hatte, selbst für mich als Knirps wahrnehmbare, Panik in den Augen, wenn Sie vom Dicken Schatten sprach oder auch nur an den Keller dachte.
Natürlich war ich trotz pathologischer Gehorsamkeit jugendlich neugierig und für ein Herz, das nach Abenteuern dürstet, sind Verbote nicht mehr als Wegweiser ins Unbekannte.
Eines Tages stieg ich also mit dem flackernden Licht meiner Taschenlampe als einzigen Gefährten in den modrig feucht riechenden Keller hinab; die knarrenden Treppenstufen wollten mich warnen, aber ich pfiff mir ein Liedchen, um sie zu übertönen.
Ich ging durch das Labyrinth der Kisten und Stapel. Mannshoch Bewahrtes und Weggeschmissenes links und rechts von mir leiteten mich durch die Finsternis.
Dann sah ich ihn: Es war der Dicke Schatten, eine Gestalt, so dunkel und füllig, dass das Licht meiner Stablampe daran zu zerbrechen schien. Keine Konturen definierten seinen Umriss, kein Laut entwich seiner Präsenz. Ich ließ vor Schreck die Lampe fallen, drehte mich auf dem Absatz um und stürzte zur Treppe zurück.
Seither habe ich aufgehört, aus eigener Kraft zu leben. Zeit ist verloren, es gibt keine Zeit mehr. Die Uhr ist zerbrochen, kaputt, sie zeigt immer die selbe Stunde. Ich vergrabe mich in meinen Decken und Tag für Tag tönt es aus mir: „Ach, hätte ich doch nur auf die Mutter gehört! Ach hätte ich, ach hätt‘ ich nur!“