In der Realschule hatte ich sehr für Kowalski geschwärmt. Freilich war ich nicht die Einzige. Es gab kaum ein Mädchen, das nicht davon träumte, seine Auserwählte zu sein. Bei den Jungs verhielt es sich wahrscheinlich nicht viel anders, aber die trugen es nicht vor sich her wie eine Monstranz. Ich hatte niemals Anstalten gemacht, ihm näherzukommen. Im sozialen Gefüge der Schule hing mir – wie man hier im Süden sagt – der Arsch viel zu weit unten dafür. Da meine Jugendjahre von verschwommenem Unbehagen geprägt waren, fiel das jedoch nicht ins Gewicht. Die kindliche Begierde erschuf ein Band aus schwülstigen Mädchengefühlen zwischen mir und meinen Mitschülerinnen, für das ich weiter nichts zu tun brauchte, als mir abends im Bett Kowalskis lagunenblaue Augen vorzustellen. Uns einte die kollektive Kowalski-Sehnsucht und allein dadurch waren wir nicht mehr einsam, auch wenn wir sonst nichts weiter miteinander zu tun hatten. Kowalski selbst schien die allgemeine Verehrung nicht zu bemerken. Er erwählte nie eine der zahlreichen Anwärterinnen und falls er je einen Anwärter aussuchte, verbarg er es ebenso elegant und selbstverständlich, wie er die Körbe beim Basketball warf.
All das hatte ich vollkommen vergessen und hätte wohl auch nicht mehr so bald daran gedacht, wenn nicht vorige Woche Kowalski bei mir angerufen hätte. Er meldete sich sogar mit Vornamen. Bis dahin wusste ich gar nicht, dass er einen hatte.
„Marius Kowalski hier“, meldete er sich mit dunkler Stimme.
Sein Anruf erstaunte mich weniger, als er es zu Schulzeiten getan hätte. All die Leute aus der Realschule! Pft! An seiner Stelle hätte ich auch mich angerufen.
Wir vereinbarten, dass er mich besuchen würde. Ich habe extra gestaubsaugt und dem Hund die Zähne geputzt. In einer halben Stunde sollte er da sein. Ich bin aufgeregt. Ob unter seinen blauen Augen Tränensäcke hängen? Was, wenn er einen Schweinsnacken hat? Am Ende ist er ein Trottel und ich muss ihn als Jugendschwarm entlassen.
Vielleicht mache ich einfach nicht auf.