Die Pilger waren von der mehrtägigen Wanderung erschöpft, aber entschlossen, das Ziel noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen.
Wilhelm und Abel, die stets zankenden Zwillinge, gesellten sich wieder zur Gruppe, nachdem sie Quartier im Pilgerort gefunden hatten.
„Wisst ihr, wer der Herr der Herberge ist, die wir ausgesucht haben? Niemand anderes als der Ur-Ur-Ur-Großneffe zweiten Grades der Heiligen Cassilda selbst“ rief Wilhelm, der wie immer der Wortführer der beiden war, schon von Weitem. „Alles wird gut.“
Die Pilger staunten nicht schlecht und ein spürbarer Ruck ging durch sie. Ja, alles würde gut werden, Kraft durchfuhr sie und sogar die Kinder, die seit Stunden nur noch gegreint, gejammert und gequengelt hatten, lächelten mit einem Mal wieder selig.
Abel widersprach dem Bruder, aber mehr aus Prinzip, denn aus Überzeugung: „Unser Gastwirt, der Ur-Ur-Ur-Großneffe zweiten Grades der Heiligen Cassilda, ist jedoch kein guter Mann und ob er dem Alten helfen kann, seine Stimme wiederzufinden, bleibt fraglich.“
Murren kam unter den Pilgern auf; war die Heilung des Alten nicht ihr erklärtes Ziel gewesen, sollten sie jetzt, so kurz vor dem Ende ihrer Pilgerreise, Abstriche in ihren Absichten machen müssen? Und überhaupt, wozu dann der ganze Aufwand, wenn die Möglichkeit bestand, dass der Alte stumm bleiben würde?
Das erste Kind begann wieder zu weinen, aber es ließ sich beruhigen, bevor die Pilger in der Herberge ankamen.
„Bringt den Stummen zu mir“, befahl der Ur-Ur-Ur-Großneffe zweiten Grades der Heiligen Cassilda, „ich habe hier etwas für ihn!“
Der Alte wurde vor den Herbergsvater getragen.
„Hier, alter Mann, trink das!“ Der Ur-Ur-Ur-Großneffe lachte verschlagen. „Ein Schlückchen Magie.“
Man hielt den Alten aufrecht und flößte ihm den trüben Trunk ein.
„Kannst du sprechen?“, fragte Wilhelm den Alten und Abel befahl mit heiserer Stimme: „Rede doch! So rede!“
Der Gastwirt erklärte derweil einem jungen Vater, der sein schlafendes Kind eng an die Brust presste: „Es handelt sich um einen Branntwein, den ich beim letzten Vollmond aus den Tränen der Heiligen Cassilda destilliert habe. Ein altes Familienrezept.“
Der Stumme erhob die Stimme: „Im wirbelnden Heute, da sich die Klänge der Unwahrscheinlichkeit im Äther mit Unerhörtem mischten, wenden wir uns voll tiefem Vertrauen an Cassilda, die Heilige der Kaleidoskope und Luftschlösser, die einst auf ein Dornbuschmikado im Herzen der Allwetterwolken traf. Jeder Dorn war ein Hoffen, jede Berührung ein Schauder. So ist sie, Cassilda, die Träumerin im himmlischen Zirkus, eine Heilige des unablässigen Staunens und der metamorphosischen Weisheit, und tanzt für uns auf der Liniensyntax rätselhafter Kontinuen.“
Die Pilger waren sprachlos, sogar die Zwillinge wussten nicht, was davon jetzt zu halten war. Der Herbergsvater keckerte und verscheuchte die Gruppe wie einen Schwarm Fliegen.