Kinkerlitzchen, klingende Bisschen, Spitzendeckchen und ein Töpfchen Mus. Wenn ich bei meinen Großeltern im Laden aushelfen musste, sei es, dass meine Großmutter in der Kirche flach ausgestreckt vor dem Bild der Heiligen Kassilda lag und um Vergebung für ihre Sünden bat, sei es, dass mein Großvater in der Dorfschenke mit den Lokalpolitikern um außenpolitische Positionen stritt, dann war diese Welt derart wunderbar und geheimnisvoll für mich, dass ich die Zeit um mich herum vergaß.
So konnte es passieren, dass ich als Achtjähriger morgens meinen Dienst begann und nachmittags um halb fünf im Alter von 20 Jahren die Tür hinter mir abschloss, ohne die geringste Ahnung zu haben, wo die letzten zwölf Jahre geblieben waren. Ich verpasste so einiges in meinem Leben, das für andere Heranwachsende ganz natürlich zu sein schien. Ich habe beispielsweise niemals das Gefühl der ersten großen Liebe kennen gelernt; in dieser Zeit sortierte ich Marmeladengläser nach Geschmacksrichtungen. Als meine Altersgenossen ihren Schulabschluss feierten und sich glücklich lächelnd gegenseitig ihre Reifezeugnisse zeigten, fegte ich Spinnweben aus den hinteren Ecken des kleinen Kramladens meiner Großeltern.
Eines Morgens, es muss in den letzten Wochen eines Jahres gewesen sein, da die Häuser und Laternen in unserer Straße bereits festlich geschmückt waren, zog mich mein Vater an meinem Ohr aus dem Bett und schrie mit dampfendem Atem: „Was hast du nun wieder angestellt? Alle Hühner und der Hahn liegen tot im Stall. Erkläre das!“
Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und tastete mit der Hand nach meiner vereisten Brille. Ich folgte meinem Vater durch den Hof in den Hühnerstall und untersuchte die Überreste der Tiere. Schon nach oberflächlicher Begutachtung der Kadaver war mir der Sachverhalt, der zu ihrem unzeitigen Ableben geführt hatte, kristallklar. „Vater“, sagte ich, „du kannst mein Ohr wieder loslassen. Ich weiß, was passiert ist. Siehst du dieses Loch in der Decke des Stalls? Ein Komet ist heute Nacht auf die Erde gestürzt und hat die Hühner getroffen.“
„Und den Hahn“, ergänzte mein Vater und ließ widerwillig mein Ohr los. „Potztausend! Ich glaube, du hast Recht.“ Wie es bei meinem Vater häufig der Fall war, änderte sich schlagartig seine Laune. Er hockte sich vor die gefiederten Leichen und fing an zu schluchzen. „Was sollen wir jetzt tun? Was soll ich nur machen? Ohne ihr morgendliches Frühstücksei wird deiner Mutter auffallen, dass sie als Tochter eines angesehenen Ladenbesitzers viel besser hätte heiraten können.“
Das Problem konnte ich nachvollziehen. Meine Mutter hatte eine Art an sich, andere Menschen spüren zu lassen, dass sie sich ihr unterzuordnen hätten und wenn sie es nicht taten, konnte sie sehr bösartig werden. Es konnte durchaus geschehen, dass, wenn mein Vater oder ich abends nach Hause kamen, Botenjungen, die meine Mutter nicht mochte, vielleicht weil sie nicht höflich genug grüßten, vielleicht, weil sie blaue Kleidung trugen, mit gebrochenen Blicken und Genicken aufgeknüpft in den Bäumen hingen.
Meine Mutter erwiderte unsere Fragen diesbezüglich meist mit einem Achselzucken. Ganz selten äußerte sie sich und das klang meist nicht sonderlich entschuldigend: „Was hängen soll, ersäuft nicht.“ Womit sie natürlich nicht falsch lag.