Habakuk

„Wie lange soll ich schreien, und niemand will mich hören? Entschuldige, Herr, ich frage ja nur und wollte nicht stören.“ Habakuk, Einmaliger und Prophet aus Leidenschaft, hatte sich, als er einst den Organspendeausweis ausfüllte, sicherlich nicht vorstellen können, dass ich einmal Besitzer seiner Seele, seiner einzigartigen Seele sein würde.

Es geht Gewalt über Recht und falsche Urteile ergehen täglich. Diesen Frevel vor Augen, die ab einem gewissen Punkt Spiegel seiner Seele wurden, betrachte ich das Weltgeschehen. Die Transplantation war notwendig geworden, da ich durch gewisse Umstände in meinem Leben, die ich nicht näher beleuchtet wissen will, meine schon löchrige und fadenscheinige Seele gänzlich eingebüßt hatte.

Der Rausch betrügt den stolzen Mann, so sagt man wohl. Da die Gelehrten die Reste meiner Seele als nicht mehr rettbar einstuften, wurde mir geraten und nahegelegt, die Einpflanzung einer Spenderseele in Betracht zu ziehen, eine Routineprozedur, wie sie nicht müde wurden zu versichern.

„Was haben Sie denn so im Angebot?“, fragte ich betont leutselig, um mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen. Kurz darauf brach ich in Tränen aus – derart angeschlagen war der Zustand meines Inneren damals. Ich rief: „Weh mir, der ich eine Stadt aus Blut und Flammen habe!“

Die Ärzte, Philosophen, die Therapeuten und Theologen schüttelten traurig die Köpfe. Wunder und Großartiges, sagten sie, dürfe ich in meinem Zustand nicht erwarten. Rückblickend vermute ich, dass es nicht zuletzt auch etwas mit meiner finanziellen Situation zu tun hatte, dass man mir eine steinalte, mehr als nur angegilbte Seele eines eher unbedeutenden Propheten anbot.

„Weh mir, der ich meinem Nächsten ein Glas meiner Trauer und meines Grolls einschenke, dass ich ihn damit betrunken mache, um seine Blöße zu erblicken!“

Es steht einem Bettler nicht gut zu Gesicht, wählerisch zu sein und deshalb stimmte ich dem Eingriff zu. Kaum aus der Narkose erwacht, tat die Seele des Trostpropheten in mir Wirkung; dem fahl-milchigen Winterlicht schien mit einem Mal eine Intensität und Strahlkraft innezuwohnen, die ich nicht erwartet hatte und auf die ich gänzlich unvorbereitet war. Gleißend und heiß durchfloss das Licht die Luft – ich rieb mir leicht verwundet und verwundert die Augen. Ich wollte die Menschen in den Arm nehmen und herzen, will fröhlich sein in meinem Heil.