Die junge Frau hält sich zur eigenen Sicherheit an ihrer elektronischen Fußfessel fest, ein Gerät, dessen strahlendes Lächeln bis zu mir herüberscheint. Ich kneife die Augen zusammen und messe die Distanz zwischen ihr und mir. Sie fragt entrüstet, warum ich ihr mit meinem Maßband an den Beinen herumfummle. Ich lache nur und fahre fort.
Sie erhebt sich, wischt mich wie eine lästige Fluse von ihrer Nylonstrumpfhose. „Was wissen Sie überhaupt von der Macht sozialer Netzwerke?“, schreit sie. „Ahnen Menschen wie Sie eigentlich, unter welchem Druck ich stehe?“ Sie schnaubt verächtlich und verlässt das Zugabteil.
Ich bleibe zurück und rolle versonnen mein Maßband auf. Ein Fischhändler, unschwer am Geruch und seiner charakteristischen Kleidung zu erkennen, steigt in den Zug. Er öffnet seinen Hartschalenkoffer und entnimmt ihm einen dürren Aal. „Es sieht nicht gut für ihn aus“, erklärt er. „Ich denke, ich werde ihn auf dem Markt verschenken müssen.“
Ich nicke, um nicht zu riskieren, dass er den Aal als Waffe gegen mich erhebt. Noch ist die Stimmung in unserem Abteil nicht sonderlich gereizt, und das soll auch so bleiben.
„In Baden-Württemberg“, richtet er sein Wort abermals an mich, „habe ich einmal einen Aal verkauft, der war 27 Meter lang.“ Mir meinen Unglauben vom Gesicht ablesend, fügt er hinzu: „Damals war der Meter noch nicht so lang wie heutzutage.“
Ich nicke erneut und höre mich sagen: „Das waren auch die glorreichen Tage des Heilbutts, ich erinnere mich gut. Zu dieser Zeit trug ich noch Bart, mein Haar war voll und flammend rot.“
Der Fischhändler schwenkt den Aal vor und zurück und singt ihm ein Lied: „Auf einem Baum ein Karpfen saß / und heimlich eine Rübe fraß. / Mit vollem Mund der Karpfen spricht: / Die in den Wipfeln sieht man nicht.“
Im Gegensatz zu mir weiß der Aal die gelöste Stimmung nicht wertzuschätzen und schnappt nach Luft.