Morgen kein Tag

Obwohl man ständig nach Gerechtigkeit ruft, klagt man über den Tod. In seinem Angesicht sind alle von gleicher Geltung. Pflanze, Tier, Kind, Greis, Mörder und Mönch: Er liebt sie alle. Mag sein, den einen ereilt er, bei der nächsten lässt er sich Zeit. Nimmt jeden Tag nur ein Schlückchen. Wie unangenehm da die Alltäglichkeit wird. Es soll doch jeder Augenblick einzigartig sein! Wer möchte sich schon an die letzten Worte „Bring mir einen Sahnekefir mit!“ erinnern? Oder schlimmer noch – sie ausgesprochen haben. Und hinterher erst. Man hätte unbedingt noch dies sagen wollen, jenes aus der Welt schaffen oder in sie hinein. Noch küssen und einen alten Zorn mit Knochenbrüchen heilen. Wenigstens den seit vier Tagen im Kühlschrank stehenden Suppentopf ausleeren. Weil Morgen vielleicht kein Tag mehr ist. Der alte Kater setzt sich auf die warme Fensterbank und wartet dort ganz gemütlich, bis er geholt wird. Dem Trauerspiel lauscht er mit spitzen Ohren. Als er gähnt, sehe ich in seinem Rachen für einen Moment die Unendlichkeit.