Mascha ist die älteste der Pelzfuß-Schwestern. Auf den ersten Blick denkt man das nicht. Müsste man als Unbekannter die Geschwisterschar dem Alter nach in einer Reihe aufstellen, befände sich Mascha irgendwo in der Mitte. Tatsächlich ist sie über tausend Jahre alt und das sieht man ihr wahrhaftig nicht an. Ihr Kopf ist zum Bersten gefüllt mit Erinnerungen, da gibt es keinen Platz zum Schmieden von Plänen, seien sie auch noch so kurzfristig. Dennoch stellt sich Tag für Tag eine frische Zukunft ein, voller Vorkommnisse und Überraschungen, die nach allzu kurzer Gegenwart Raum im prallen Schädel beanspruchen. Zu jedem Ereignis, sei es noch so unbedeutend, kann Mascha eine Erinnerung beisteuern. An einem kalten Tag fällt ihr ein, wie einmal im tiefsten sibirischen Winter ihre Oberlippe an der ihres Geliebten beim Küssen festgefroren ist. Den Trennungsschmerz spürt sie heute noch, wenn sie daran denkt. Als ihr der Hausschlüssel beim Aufsperren aus den Fingern gleitet, erscheint die blaue Glaskugel, die sie von einer Herzensfreundin geschenkt bekam, in einem Augeblick der Unachtsamkeit fallenließ und die in ein Rinnsteingitter kullerte. Es gibt keinen Anfang, der sie nicht an ein bereits erlebtes Ende erinnert. Am liebsten macht Mascha Pelzfuß gar nichts, denn das gleicht einander niemals. Der Gedanke an den Tod ist ihr auch nach tausend Jahren noch ein Graus, denn sie möchte ihre Erinnerungen nicht ohne Obdach zurück lassen. Üblicherweise benutzen die Leute Kinderköpfe als Unterschlupf dafür, aber das ist Mascha zu unsicher, wegen der Fontanelle. So bleibt ihr nichts übrig, als sich weiter nach einem passenden Behälter umzusehen. Ich wundere mich mittlerweile nicht mehr, wenn ich sie abends an der Bushaltestelle mit abweisendem Gesicht den Mülleimer untersuchen sehe.