Lesung am 07.02.2016 im Proviant in Berlin
Daniel Boente liest aus „Unbehagen in Bad Sodom“. Am Sonntag, den 07.02.2016, um 19.00. Eintritt: 5 Euro. Proviant Berlin Wühlischstraße 39A 10245 Berlin http://proviant-berlin.de
Read MoreDaniel Boente liest aus „Unbehagen in Bad Sodom“. Am Sonntag, den 07.02.2016, um 19.00. Eintritt: 5 Euro. Proviant Berlin Wühlischstraße 39A 10245 Berlin http://proviant-berlin.de
Read MoreDer Ballsaal füllt sich langsam zu beiden Seiten. In der Mitte wird noch Platz gelassen, denn vor dem Eröffnungstanz darf die Saalmitte nicht betreten werden. Nur Geraune ist zu hören, man will sich nicht zu früh hervortun. Die Logen zum Bersten gefüllt, wie von Maden befallene Austern. Brillanten und Kronleuchter klackern, Schweißperlen sammeln sich Achselhöhlen und bereiten Gestank vor. Hälse werden gereckt, voller Gier nach Häppchen und Spezereien. Wie zusammengetriebene Schafe reiben sich die Gäste im Foyer aneinander. Ungeduld wabert durch die Räume. Die Stimmung kann jederzeit kippen. Da spielt das Orchester einen Klimbim. Stille. Der Hufrat betritt klappernden Schrittes…
Read MoreUnd frage nie nach den Hinrichtungen! Die fallen beinahe täglich an und niemand nimmt mehr Anstoß. So wird es gewünscht und alle halten sich daran. Neuankömmlinge kämpfen oft mit aufsteigender Magensäure, wenn sie den zart süßen Geruch, der die Straßen beherrscht, zum ersten Mal mit seinem Ursprung in Verbindung bringen. Unterdrücke das Würgen! Verdränge den Ekel! Nur so wirst du es hier zu etwas bringen. Oft sieht man Kinder, die mit Leichenteilen spielen. Das ist zwar verboten, aber den Kindern verzeiht man, wie in anderen Kulturen auch, einiges. Ein komischer Anblick, wenn sich zwei Kurze um ein Bein streiten, das…
Read MoreIch war wild entschlossen, für immer auf dem Linoleumboden in meiner Diele sitzen zu bleiben. Den Rücken bequem an den Filzbelag der Wohnungstür gelehnt. Den Luftzug, der unter der Türritze hindurchwehte, ganz sacht durch meinen flauschigen Bademantel am Hintern spüren. Einmal die Woche den Zehnliter-Kanister mit Wasser aus der Leitung füllen und ihn dann im Laufe der Tage mit einem langen, neonblauen Partystrohhalm austrinken. Was das Pinkeln anging, vertraute ich auf die Saugkraft meines hochwertigen Fußabstreifers. Mein Ziel war, ganz mager zu werden und schließlich in den Frotteeschlaufen des Mantels zu verschwinden. Das behäbige Treiben der Staubmäuse würde mir ausreichend…
Read More„Wie lange soll ich schreien, und niemand will mich hören? Entschuldige, Herr, ich frage ja nur und wollte nicht stören.“ Habakuk, Einmaliger und Prophet aus Leidenschaft, hatte sich, als er einst den Organspendeausweis ausfüllte, sicherlich nicht vorstellen können, dass ich einmal Besitzer seiner Seele, seiner einzigartigen Seele sein würde. Es geht Gewalt über Recht und falsche Urteile ergehen täglich. Diesen Frevel vor Augen, die ab einem gewissen Punkt Spiegel seiner Seele wurden, betrachte ich das Weltgeschehen. Die Transplantation war notwendig geworden, da ich durch gewisse Umstände in meinem Leben, die ich nicht näher beleuchtet wissen will, meine schon löchrige und…
Read MoreIm Gegensatz zu den Frauen aus Rundfunk und Fernsehen, bekam ich das Kind nicht unter Schmerzen, wie der Herr es angeordnet hat. Es saß eines Morgens am Küchentisch, als sei es aus einem Werbefilm für arisches Dauerbrot geflohen. Einzig der bis zum zweiten Gelenk ins Nasenloch gebohrte Zeigefinger verlieh ihm etwas Menschliches. Dass ich nichts mit dem Jungen anzufangen wusste, ist meiner Egozentrik und Introvertiertheit geschuldet. Achselzuckend meldete ich ihn an einer gewöhnlichen Schule an. Er steckte voller Klugheit und Neugier, was ihm dort nicht auszutreiben war. Mit der Zeit gewöhnte ich mich an ihn und er übergoss mich mit…
Read MoreIn der Prinzessinnenvariante des Schneidersitzes, die Knöchel gekreuzt, werden Stoffe geschnitten, bestickt, beklebt, in neue Form gebracht, vernäht. Manchmal etwas Warmes für die kalten Stunden, meist kleine Kleider für Bären oder Puppen. Eine Fliege landet auf der arbeitenden Hand, mit hellem Stimmchen spricht sie furchtlos: „Das Leben geht weiter. Die Zeit heilt alle Wunden.“ Und Ähnliches und immer mehr. Man kennt so Tierchen ja – die Verlegertochter Dora Duncker hatte auch nie Zeit, hetzte von Termin zu Termin und murmelte Sätze wie: „Ich fühle mich am Anfang eines Verbrechens“ und „Ich sollte zu denen gehören, denen Aufschub gewährt wird bis…
Read MoreDie Nacht ist mir auf den Kopf gefallen. Mit einem Schlag dunkelt es. Davor fürchte ich mich nicht. Es gibt immer einen guten Grund ein Feigling zu sein. Einmal hatte ich Wichtigeres zu tun. Ein ander Mal machte ich mir Sorgen um meinen guten Ruf. Oder war es ein behagliches Leben? Wenn er mich gebeten hätte. ‚Sei kein Feigling, bitte!‘ Von hier oben sieht das Städtchen ganz freundlich aus. Die Hügel am Horizont, davor eine Ebene – ich würde gerne sagen, es sei eine Steppe. Ich schätze Übersichtlichkeit. Deshalb gefällt es mir gut, dieses Haus mit dem Türmchen, am Hang eines Weinbergs. Die Straße zum…
Read MoreDaniel Boente liest aus „Unbehagen in Bad Sodom“. Am Dienstag, den 26.01.2016, um 19.00. Der Eintritt ist frei. Buchhandlung Frick International, Schulerstraße 1 – 3, A-1010 Wien, http://www.buchhandlung-frick.at/frick_international.php
Read MoreIch durchschreite ein Meer aus Licht, ein Mehr an Wissen, durchwate Untiefen und warte auf Erleuchtung. Ich erwarte, dass ein Stern mir scheint, sich über mich ergießt. Dass alles, was stockt, fließt, dass jeder Nerv getroffen wird: Im Abteil fläzt sich ein Soldat, seine langen Schaftstiefelbeine auf den Sitzen links und rechts von mir. Bevor ich ihn daran hindern kann, holt er seine Pfeife hervor – ölig schimmernde Schwaden. Er erzählt: „In einer Nacht, kaum heller als die heutige, kam ein Küster an seiner Kirche vorbei. Er hörte Stimmen, sah stimmungsvolles Kerzenlicht aus dem Inneren nach außen drängen. Er öffnete…
Read More