Und aus dem Dreck unter meinen Nägeln forme ich Figürchen – gestalte hier ein bisschen, modelliere dort, verwandle Horst Wessel in Rosa Luxemburg in Robin Hood in Rotkäppchen. Ich lasse sie auf dem Karussell fahren, das ich eigens für sie aus halben Strohhalmen und einer leeren Streichholzschachtel gebastelt habe. „Bitte alle einsteigen!“, rufe ich beherzt. „Zu-rückbleiben bitte! Vorsicht bei der Zugausfahrt!“
Die nächsten Minuten stehen im Zeichen der Zentrifugalkraft, die vier Figuren kreischen und klatschen vergnügt in die Hände. Doch auch die schnellste Fahrt geht mal zu Ende. Horst Wessel streicht sich das Haar aus der Stirn und zieht vor Enttäuschung ein Schnütchen. Er wendet sich von mir ab und ich höre ihn leise klagen: „Es muss weitergehen, die Welt hört ja nicht unseretwegen auf, sich um sich selbst zu drehen. Der Lauf der Dinge bleibt nicht stehen.“
Währenddessen durchwühlen Flaschensammler Mülleimer; Taxifahrer halten an, steigen aus und fischen sich Fußgänger vom Gehweg, um sie zu knuffen und zu beschreien. Da kommt mir eine Idee: Die Geschichte eines Jungen, der auf einer Südseeinsel aufwächst – verachtet und gehasst von seinem graubärtigen Vater, welcher mit allen Frauen der Umgebung in romantischer Liaison lebt. In der ersten Szene beobachtet der Junge Ameisen, die in einer mit Wasser gefüllten Kokosnussschale um ihr Überleben schwimmen.
Rosa Luxemburg tippt mir auf die Schulter und bemängelt meine imperialistische Grundhaltung. „Mit einer Geschichte vom Edlen Wilden ist doch wirklich niemandem geholfen“, sagt sie resignierend, um das Gespräch zu einem Abschluss zu bringen. Ich gebe ihr freimütig und rundweg recht. Robin Hood und Rotkäppchen feixen sich eins; da hat die gute alte Rosa doch mal wieder einen in seine Schranken verwiesen.