Nicht-Ich und Kaum-Ich begegnen sich

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Kaum-Ich: Sagen Sie mal, kenne ich Sie nicht irgendwoher? Nicht-Ich: Mich? Hm, warten Sie, stimmt! Ich meine auch, ich hätte Sie schon einmal gesehen. War es nicht auf einem ausgelassenen Frühlingsfest, umsäumt von Jungfrauen? Kaum-Ich: Nein, in mir ist ewig Herbst. Sie müssen sich täuschen. War es nicht vielmehr bei der Einweihung eines bedeutenden Gebäudes oder auf dem Sommerempfang des Präsidenten, wo wir uns zum ersten Mal begegneten? Nicht-Ich: Das ist gut möglich. Trugen Sie nicht einen zahmen Feldhasen in einer offenen Tragetasche aus Lederimitat auf dem Arm? Ein Feldhase, der damals die Blicke aller anwesenden Damen anzog? Standen Sie…

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Der neugierige Kunde

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Eines Tages ging ich zu einer Wahrsagerin und als ich ihre Wohnung betrat, fand ich sie in wollüstiger Pose auf einer Art Schreibtisch vor. „Kommen Sie ruhig näher, junger Mann!“, gurrte sie mit süß-scharfem Akzent. Ich fühlte mich ob ihrer dargebotenen Reize überfordert und war schon im Begriff mich herumzudrehen und zu gehen, als mein Blick auf einen Papagei fiel, der mich aus einem mannshohen Käfig verächtlich ansah. „Tu doch nicht so, als ob dir nicht gefiele, was du siehst.“ Der Vogel sprach mit wohltönender Stimme, gar nicht brüchig und krächzend, wie ich es erwartet hatte. „Schau ruhig noch einmal…

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Wen es betrifft

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Hören Sie? Ich sage Ihnen, Sie hören nichts. Nicht das Surren der Leuchtstoffröhre, nicht das Zwitschern der Gazellen, die dort unweit des Einkaufszentrums auf dem Mittelstreifen grasen, gar nichts hören Sie. Und dann gibt es immer wieder Situationen, in denen das Herz so laut klopft, dass selbst ich, dem diese Dinge beständig in den Ohren gellen, die Geräusche aus dem Außen nicht mehr wahrnehme. Dann pocht es, strömt es, rauscht es in mir und all die Töne da draußen werden bedeutungslos. Wer bin denn ich, frage ich mich in solchen Momenten, und wo liegt der Sinn? Zwar antworte ich immer…

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Sommerfreuden

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An dem Haar, das aus deinem Ohr wächst, hangle ich mich langsam nach oben. Jetzt ist es nicht mehr weit, ich kann den Flickenteppich aus Leibern der Frauen, Männer, Kinder im Strandbad hinter dem Lattenzaun schon gut erkennen: Eingeölt und mariniert wie Grillgut wellen sich meterweise Stücke Haut im Sonnenbrand. „Willst du jetzt rüber?“, fragst du. Wenn ich könnte, würde ich die Schultern zucken. Seltsam, die andere Seite reizt mich nicht mehr wie noch vor fünf Minuten, als ich dich bekniet habe, mir dein Haar zur Verfügung zu stellen. Ich rutsche das Haar hinab, lande sicher auf dem Boden. Ich…

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Sommerfreuden

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An dem Haar, das aus deinem Ohr wächst, hangle ich mich langsam nach oben. Jetzt ist es nicht mehr weit, ich kann den Flickenteppich aus Leibern der Frauen, Männer, Kinder im Strandbad hinter dem Lattenzaun schon gut erkennen: Eingeölt und mariniert wie Grillgut wellen sich meterweise Stücke Haut im Sonnenbrand. „Willst du jetzt rüber?“, fragst du. Wenn ich könnte, würde ich die Schultern zucken. Seltsam, die andere Seite reizt mich nicht mehr wie noch vor fünf Minuten, als ich dich bekniet habe, mir dein Haar zur Verfügung zu stellen. Ich rutsche das Haar hinab, lande sicher auf dem Boden. Ich…

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Der Schüchterne

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Ohne Fleiß, kein Preis. Kein Preis zu hoch für einen, der nach Sternen greift, sich die Planeten einverleibt und oft genug in Wolken, in düsteren Wolken steckenbleibt. „Ich liebe ein Phantom“, sagt sie und lächelt übertrieben scheu. „Bei mir führt jeder Weg nach Rom. Ich will erleben, ob altvertraut, ob splitterfaserneu. Letztendlich fällt jede Frucht, ob klein wie Kirschen oder auch melonengroß, in meinen Hoppehoppereiter-Schoß.“ Ihr Gesprächspartner versteckt seine Verlegenheit und sein Entzücken hinter einem Stapel Bücher. „Eine feste Burg ist ohne Zweifel unser Sehnen; eine sichere Bank gegen die Unbill der Außenwelt.“ Sie macht einen Schmollmund, reißt die Augen…

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Aus der Werkstatt

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Idee für eine Geschichte: Ein Junge wächst heran, sein Vater flüstert ihm im Schlafe ein, dass er vom Sohn erwarte, sich nach einer kurzen aufrührerischen Episode, von Polizisten, Priestern oder Soldaten, während des Sturmlaufs auf den Palast, erschießen zu lassen oder ein ähnlich heroisches, andersartiges Ende zu finden. Der Junge macht sich gleich am nächsten Morgen auf, das Gehörte umzusetzen. Unverzüglich schart er eine Gruppe von Männern, die sowieso wenig Besseres zu tun haben, um sich und gemeinsam ziehen sie Richtung Hauptstadt. Unterwegs erleben sie zahlreiche Abenteuer und heilen Kranke, beziehungsweise aktivieren die Selbstheilungskräfte der Kranken durch schiere Begeisterung. Umjubelt…

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Ikarus‘ Flugstunde

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Und dann war da noch diese Frau, die mir zurief, ich solle die Schilder beachten. Ich dachte im Vorbeifliegen darüber nach, welche Schilder sie wohl meinte, doch als ich mich zu ihr umdrehte, um nachzufragen, war sie schon außer Rufweite. Und so flog ich und flog, bis die Nacht hereinbrach. In diesen Breiten geht das Schlag auf Schlag – eine Sekunde ist es taghell und in der nächsten kohlpechrabenschwärzeste Nacht. Ich hatte mir fest vorgenommen, auf jedwedes Schild zu achten – doch schon war es passiert: einen Wimpernschlag lang nicht aufgepasst und prompt gegen das einzige Schild im Umkreis von…

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Südfrüchte

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Ein Springbrunnen – ohne Schmuck und Zierart, 16 schmale Fontänen, die das Wasser neun Meter in die Höhe spritzen – erinnert mich daran, dass in den Zeiten der Krise und der Zerstörung keine Kunst entstehen kann; sie wird nicht wahrgenommen. Kunst entsteht in den Zeiten der Fülle, der Sattheit. Eine Frau wühlt in ihren Taschen, eine Minute, eine zweite, eine fünfte, eine zehnte. Sie sortiert und kramt und blickt nur auf, um sich der Präsenz des Brunnens zu vergewissern, nur einen flüchtigen, richtigen Moment lang. Jetzt ist die Katze im Sack: nichts gilt mehr. Haubentaucher tauchen unter, viel zu sehen…

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Begegnung

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A: Sagen Sie, kennen wir uns nicht? B: Nicht, dass ich wüsste. A: Sie kommen mir so bekannt vor. B: Ich bin ein anderer Fettwanst – Sie verwechseln mich. A: Ich könnte schwören … B: Tun Sie es lieber nicht! A: Die Ähnlichkeit ist dennoch verblüffend. B: Für die Schlanken sehen wir Dicken doch alle gleich aus. A: Das können Sie jetzt aber so nicht sagen. B: Doch, doch, das stimmt schon. Ich weiß, was Sie sehen: Schwabbel, fettiger Teint, kleine Augen im speckigen Gesicht, Cellulite auf der Stirn. Ich sehe es doch, mein Anblick widert Sie an. A: Sie…

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