Alarm in Distrikt 7

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Ein Kleiner und ein unglaublich Fetter sitzen beieinander. Der Kleine lässt die Beine baumeln. Der Fette hält sich an seinen Krücken fest. „Alarm! Alarm! Das ist kein Test, ich wiederhole: Das ist kein Test! Alle Mann hin, wo nie zuvor ein Mensch gewesen! Frauen und Kinder zuerst!“ Der Kleine gluckst vergnügt, wen wundert’s – der Fette hat die Durchsage nicht gehört: Schichten Fleisch bedecken ihm die Ohren. Die beiden werden angebettelt, sie haben nichts zu geben und schütteln die Köpfe. Das Fett schwappt links, das Fett schwappt rechts, dem Kleinen ins Gesicht. „Letzter Aufruf: Verlassen Sie umgehend das Gebäude! Der…

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Verdünnung und Verdichtung

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Am Informationsstand der Streitkräfte reicht ein Soldat im leichten Kampfanzug den Passanten Hochglanzbilder von Brunnen und frischgetünchten Schulgebäuden. Dazu lächelt er verbindlich und freut sich am regen Interesse und dem Zuspruch der Bürger. Als alle Bilder verteilt sind, schaut er auf sein Mobiltelefon und geht nach Hause. Pünktlich auf die Minute. ‚Alles eine Frage konstruktiven Zeitmanagements’, denkt er sich und er ist dankbar für die gute Schulung, die ihm zuteil wurde. ‚Es geht doch nichts über Training der Methodik.’ Er greift nach seiner Freundin und hat Verlangen nach ihr. Sie hält still, als er sie berührt und sich an ihr…

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Para-Romantische Episode

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Worte wie Fellhandschuhe bereiten die Bevölkerung auf die verschiedenen Szenarien vor. „So schlimm wird es wohl nicht werden”, sagen die Bürger dann vor anderen. „So schlimm ist es doch schon!” hört man einen verwirrten Menschen in der S-Bahn versehentlich laut sagen. Wir anderen wringen unsere Lippen und schauen betreten aus den Fenstern. Auf dem Weg nach Hause stellt sich mir eine Birke in den Weg und wispert aufgeregt: „Du weißt, jetzt ist alles möglich.” Ich antworte stereotyp, dass es wohl so schlimm nicht werden wird. Meinem Rucksack entnehme ich einen Fellhandschuh und streichle eine ganze Weile ihre zarte Rinde, bis…

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Der Einsatz

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Exotisch aus der Wäsche schauend, messerlange Nägel kauend, Haar verkümmert, ausgebleicht, zu mehr hat’s heute Morgen nicht gereicht. Ein Schock, ein Mann tritt auf und spritzt zwei Salven ab – schnell die Zunge, ernst der Blick. Ich sage dir, ich sag‘ dir eins, nur eines noch, nur noch einmal und noch einmal und noch einmal: Hätte ich auch nur einen Cent für jeden Obdachlosenzeitungsverkäufer, wär‘ ich noch immer arm, bitterarm, denn Armut ist chronisch, nicht akut. Der Sommer ist groß, und ich baue kein Haus, schreibe keine Briefe mehr, und alle Passanten riechen nach Wurst und alten Fischbrötchen. Exotisch ist…

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Tagores Traumgesichte

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Regen gräbt sein Loch in meinen Schlaf – ich zähle mein Schaf einmal, zweimal, viele Male. Mit Kreidestrichen auf einer eigens dafür vorgesehenen Tafel markiere ich die Runden, die es um mein Bett läuft. Wie es mit sich selber wettläuft. Wie es das abgeschüttete Fett säuft, das ich mir abends aus dem Körper zapfe. Jeden Abend das Getue mit dem Schlauch – aus den Schenkeln, Hoden, aus dem Bauch zapfe ich mir Rahm, bis die Eimer voll sind. Mein Schaf sagt immer: „Was ich toll find, ist die Regelmäßigkeit des Ganzen. Wie Schulden, Gezeiten und Wetter.” Leere Grütze graupelt Schauer…

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Lagerfeld und Puschkin

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Ich saß vor ein paar Monaten in Madame Ovarys Eckkneipe, da kam ein blasser Mann herein. Er stellte sich neben meinen Tisch und sah auf mich herab. Ich sagte, er solle mir aus der Sonne gehen, sonst würde ich ihm eins auf sein fettes Maul hauen. Er sagte: „Was erlauben Sie sich? Wissen Sie denn nicht, wer ich bin?” Ich verneinte und er meinte, er sei Karl Lagerfeld, was mich nicht beeindruckte. Ich bat ihn trotzdem Platz zu nehmen. Vielleicht, so dachte ich mir, hat er ja etwas Aufregendes zu erzählen. Hm, da müsse er einmal nachdenken und fing im…

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Die reine Kunst

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„Ich erinnere mich an ein Gedicht“, sagt er und schaut sich wichtig im Kreise seiner Zuhörer um, „das ich, auf den Tag genau vor 31 Jahren, für meine verflossene Liebe schrieb.“ Das Publikum reagiert aufrichtig gerührt mit ‚Ahs!‘ und ‚Ohs!‘ Die Frauen wünschen sich an die Seite dieses einzigartigen Poeten und blicken mit an Abscheu grenzendem Widerwillen auf ihre mitgebrachten Partner. Wir Männer wollen sein wie er, würden die schlechte Haltung, die trockene Glatze, die abgewetzten Kleidungsstücke und die ausgetretenen Schuhe in Kauf nehmen; für die Liebe im Blick der Frau an unserer Seite wäre dieser Preis wahrlich nicht zu…

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An der Schwelle

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Defo, ein perlenbehangener schwarzer Hund, stets gewillt, es darauf ankommen zu lassen und stets bereit bis zum Äußersten zu gehen, senkt den Kopf und hechelt, knurrt in Maliks Richtung. Malik sieht den Seiber aus den Lefzen triefen und glaubt den nach Verwesung riechenden Atem noch aus fünf Schritten Entfernung wittern zu können. Er will sich abwenden, erinnert sich vergangener Begegnungen mit der Bestie. Defo war Malik beim ersten Mal als Welpe erschienen; damals hatte Maliks Verlobte noch in der Wohnung gelebt, sie waren durchaus glücklich gewesen, doch wenig später zerbrach die Beziehung – für Malik unvermutet, für seine Verlobte unvermeidlich….

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Bald geht’s lustig zu

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„Brich das Brot und sprich mit mir“, sagte eine, die zu mir kam, um, wie sie sagte, Dinge herauszufinden. Ich hatte den ganzen Nachmittag im Hinterhof gesessen, um bloß nicht die Viertelstunde Sonnenschein zu verpassen, die mir laut Mietvertrag zusteht. „Das ist doch kein Zustand“, rief sie und wies mit ihren Brüsten Richtung Zukunft. „Ich dachte, es geht weiter, immer weiter. Nichts und niemand hatte mich darauf vorbereitet, dass es eines Tages vorbei sein könnte. Weißt du, was ich meine?“ Ich nickte und spuckte einen Kirschkern aus.

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Behördengang

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„Herein!“ Wilhelm Wackerstein sitzt am Schreibtisch und füttert einen Gecko mit Krumen. Wie soll ich sein Erstaunen beschreiben, als er sieht, wer zu seiner Tür hereinkommt? „Mensch, das ist ja eine Überraschung! Mit dir hätte ich jetzt wirklich nicht gerechnet. Wie lang haben wir zwei uns nicht mehr gesehen?“ Seine Freude ist echt – Wackerstein ist niemand, der sich gut verstellen kann und konnte. Das Tier auf dem Schreibtisch zermalmt Brotstücke und nickt. „Was kann ich denn für dich tun? Du besuchst mich doch nicht aus Höflichkeit.“ Da hat der scharfsinnige Mann natürlich recht; seit einem Zwischenfall vor einigen Dutzend…

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