Unterschied

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Rastlos, hungrig, kein Ziel, kein Plan Auf das große Gotteshaus stürzt ein buntgeschmückter Kran Fällt ein Stein vom Herzen durch Gebet Kein Zweifel, wo der Kran heut’ steht Ein Sturm das Baugerüst gleich mit umweht. … „Ich habe das alles nicht gewollt, ich hab das alles nicht gewusst. Wer hätte auch ahnen können, dass es so zu Ende gehen würde.“ Ein Eichhorn klagt den Bäumen sein Leid. Die Bäume nehmen es gelassen hin. „Wer hätte ahnen können, dass…“ Erschrocken hält es inne, es glaubt eine silberne Löwin aus dem Winkel seines Blickfeldes wahrgenommen zu haben. Vielleicht auch nur ein Schattenspiel….

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Familie 3

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Und so krochen wir beide, mein Großvater und ich, auf Geheiß meiner Großmutter noch am gleichen Abend auf den Knien durch den Staub des Dachbodens und tasteten blind nach dem Bildnis der Heiligen Kassilda. „Ich frage mich immer wieder“, sagte ich, „was diese Heilige so besonders macht, dass wir uns zu fortgeschrittener Stunde wie die Maulwürfe durch den Dreck wühlen müssen.“ Neben mir zuckte der Großvater zusammen. „Die Heilige Kassilda war eine große Frau“, wisperte er, wie um seine Gemahlin weit unter uns in der warmen Stube nicht zu erzürnen. „Deine Großmutter und ich, wir alle eigentlich, sind ihr zu…

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Eingeschworene Gemeinschaft oder Klemmschwestern auf dem Unterdeck

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Vollkommen und benommen bekommt jeder, was sich gehört. Paul Heidewitzka, Kapitän eines blau-weißen Unterseeboots und langjähriger Befürworter der Todesstrafe schon bei kleineren Vergehen, lässt sich den Bart kraulen, bevor er fortfährt seinen Lammspieß mit Schüssen aus der Flasche Pfefferspray zu würzen, die er aus unterschiedlichen Gründen stets mit sich führt. „Weiberfrei und Spaß dabei. Das ist seit jeher mein Motto gewesen. Mit dem Tode bedrohen kann man so oder so nur die fleischliche Hülle. Wissen Sie, im Grunde genommen tue ich den Menschen einen Gefallen. Verstehen Sie, ich bin ein gläubiger Mensch. Gott wird es schon richten, sage ich immer.“ Ein…

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Struktureller Sexismus

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„Es ist doch immer wieder erstaunlich und erschreckend, mit wie wenig Wörtern die meisten meiner Mitmenschen den Tag über auskommen, mit wie wenigen wirklich eigenen Gedanken sie ihr Dasein verbringen.“ Die mittelalte Frau mit gesundem Menschenverstand ereifert sich und bemerkt dabei nicht, dass sich ihr Gegenüber, ein Mann in den besten Jahren, ohne Ankündigung aus dem Gespräch ausgeklinkt hat. „Alles, was sie von sich geben und in ihren Köpfen wiederkäuen, sind vorgedachte Halbwahrheiten, die sie nach Belieben und innerer Empfänglichkeit den Medien entnehmen, ohne sie in Frage zu stellen.“ Der Mann in den besten Jahren räuspert sich, doch bevor er…

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Nachbarschaft in Räumen & Zeiten

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In der Wohnung über meiner hustet der Nachbar fleckigen, flockigen Staub, ganze Brocken, ich höre es genau – ich stehe auf einer Klappleiter und ziehe mit einem weichen Bleistift Linien an der Zimmerdecke wo er läuft, verfolge seine Bahn. Man muss den jungen Leuten ihre Unrast nachsehen, was wissen sie schon von unserer Welt? Sie denken, die Menschheit habe gerade erst begonnen. Rückblende: Ein Ägypter poliert versonnen den goldenen Speichenschutz eines Streitwagens. „Ach! …“, seufzt er. „Unserer Welt fehlt es an Heldenmut, fehlt es an Helden, an Begebenheiten sich auszuzeichnen. Peitsche und Bier, Bier und Peitsche, das Leben ist trist…

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Am Nacktbadestrand

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Wie war das noch gestern? Wer war ich noch gestern? Die Antwort, mein Freund, kennt ganz allein der Wind. Das Haar, das mir verblieb, wird langsam weiß; der Wind bläst warm mich kahl. Ich trage einen Schutzanzug und betrachte die Nackten und die Roten. Im Klartext heißt das wohl, dass nichts und noch ein bisschen weniger meinen Blicken verborgen bleibt. „Gestatten? Platten, Vertreter von Fuß- und Hängematten.“ „Angenehm, ich bin kahl.“ „Freut mich ihre Bekanntschaft zu machen, Karl.“ Und so zieht sich auch dieses Gespräch mal wieder endlos wie Teer. Ich bedauere sehr, es überhaupt angenommen zu haben. Ich schaue…

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Das Blutgerüst

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Ein anderer Tag, eine andere Baustelle. Die Bischöfin balanciert kleinfüßig auf dem Schafott: „Ich habe keine Sinne“, sagt sie. „Körper, Formen, Gestalt und Größe, meine Bewegung im Raum nur Illusion. Ich schaffe diese Dinge aus mir selbst, jedoch nie frei vom selbstmörderischen Zweifel an den Tagesabläufen.“ Ein Esel bleibt an ihrem Gerüst stehen, blickt zu der Bischöfin auf und sie fährt fort: „Das ist die Rache. Die Rache der Profanen an den Verfeinerten. Lasst sie Türme bauen, lasst sie auf Sand bauen, lasst ihre Türme in den Himmel ragen!“ Der Esel levitiert, denn er weiß es nicht besser. Kein Tag…

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Mortui Non Mordent

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Und frage nie nach den Hinrichtungen! Die fallen beinahe täglich an und niemand nimmt mehr Anstoß. So wird es gewünscht und alle halten sich daran. Neuankömmlinge kämpfen oft mit aufsteigender Magensäure, wenn sie den zart süßen Geruch, der die Straßen beherrscht, zum ersten Mal mit seinem Ursprung in Verbindung bringen. Unterdrücke das Würgen! Verdränge den Ekel! Nur so wirst du es hier zu etwas bringen. Oft sieht man Kinder, die mit Leichenteilen spielen. Das ist zwar verboten, aber den Kindern verzeiht man, wie in anderen Kulturen auch, einiges. Ein komischer Anblick, wenn sich zwei Kurze um ein Bein streiten, das…

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Habakuk

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„Wie lange soll ich schreien, und niemand will mich hören? Entschuldige, Herr, ich frage ja nur und wollte nicht stören.“ Habakuk, Einmaliger und Prophet aus Leidenschaft, hatte sich, als er einst den Organspendeausweis ausfüllte, sicherlich nicht vorstellen können, dass ich einmal Besitzer seiner Seele, seiner einzigartigen Seele sein würde. Es geht Gewalt über Recht und falsche Urteile ergehen täglich. Diesen Frevel vor Augen, die ab einem gewissen Punkt Spiegel seiner Seele wurden, betrachte ich das Weltgeschehen. Die Transplantation war notwendig geworden, da ich durch gewisse Umstände in meinem Leben, die ich nicht näher beleuchtet wissen will, meine schon löchrige und…

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Die Zeit ist trügerisch, hält nie, was sie verspricht

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In der Prinzessinnenvariante des Schneidersitzes, die Knöchel gekreuzt, werden Stoffe geschnitten, bestickt, beklebt, in neue Form gebracht, vernäht. Manchmal etwas Warmes für die kalten Stunden, meist kleine Kleider für Bären oder Puppen. Eine Fliege landet auf der arbeitenden Hand, mit hellem Stimmchen spricht sie furchtlos: „Das Leben geht weiter. Die Zeit heilt alle Wunden.“ Und Ähnliches und immer mehr. Man kennt so Tierchen ja – die Verlegertochter Dora Duncker hatte auch nie Zeit, hetzte von Termin zu Termin und murmelte Sätze wie: „Ich fühle mich am Anfang eines Verbrechens“ und „Ich sollte zu denen gehören, denen Aufschub gewährt wird bis…

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