Nur ein Tag

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Das Schöne an der modernen Welt ist, dass man alles sein kann, was man möchte. Also, sofern man nicht in einer Kobaltmine schuften muss oder der Russe bei einem einmarschiert oder man ewigen Hausarrest von schwerbewaffneten Halbwüchsigen erteilt bekommt oder das Pech hat, als Hausschwein geboren zu werden. Sie sehen, es gibt Ausnahmen, aber im Grunde kann man sein, was und wer man möchte. Ich für meinen Teil wäre gern ein Mann, ein berühmter Mann, wennschon. In die Jahre gekommen und aus dem Leim gegangen, dagegen hätte ich keine Einwände. Ich könnte mit trunkenen Nymphen durch Bacchanalien tanzen und mit…

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Meine Kreise

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Ich drehe mich im Kreis, als sei ich eine Primaballerina. Das wünschte ich mir als Kind schon: In einem rosafarbenen Tutu und seidig glänzenden Ballettschuhen über federnden Holzboden fliegen, springen, Pirouetten drehen. Auf ein Publikum wollte ich allzu gerne verzichten. Für die nächsten 1000 Jahre in einer Zeitkapsel verborgen hätte ich gerne getanzt. Aber das kann man mit einem Kind natürlich nicht machen, obwohl Kinder das Salz der Erde sind. Oder war irgendjemand anders das Salz der Erde? Ist ja auch egal. Hauptsache, ich muss die Menschheit nicht aushalten, mit ihrem empörten Geschrei und diesen Blicken, bei denen man nicht…

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Allerdings

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Es gibt Tage, da erwacht man morgens mit schweren Lidern in einem Bett aus klebrigem Gummi. Allerdings, die Lider kann man sich heutzutage vom Operateur entfernen lassen. Das schützt auch vor Lidkrebs, wie man hört. Und das ist ja das A und O: schützen und vorsorgen. Wobei ich für beides nicht viel übrig habe und für vorsorgliche Entfernung schon gleich dreimal nicht. Allerdings, meine Großmutter hat immer gesagt: Böse Menschen haben keine Lider. Und wer will schon von aller Welt auf den ersten Blick als böser Mensch erkannt werden, nur um morgens besser aus dem Bett zu kommen? Ich jedenfalls…

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Das Odikolon

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Als ich vor ein paar Tagen am Briefkasten vorüberging, stieg mir der Duft von Kölnisch Wasser in die Nase, mit dem mein Vermieter seine Briefe zu parfümieren pflegt. Voller Unbehagen nahm ich den lila Umschlag in die Hand und befühlte ihn vorsichtig. Nur ein Blatt. Sehr geehrte Mieterin … blablabla … im Angesicht der rasenden Inflation sehen wir uns gezwungen … blablabla … Mieterhöhung um 15% … blablabla … gesetzeskonform. Sollte ich die Erhöhung ablehnen, stünde es mir frei, zur bisherigen Miete in den Fahrradschuppen zu übersiedeln. Als Dank für jahrelange Treue würde mir in den nächsten Tagen ein Fläschchen…

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Blutsbande

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Wenn man sonst keine Sorgen hat, lockt einen das Abenteuer. Um von den Mitmenschen nicht als verdeckter Pauschaltourist belächelt zu werden, muss das Unterfangen von kolossaler Waghalsigkeit sein. Barfuß mit nur einer Malakofftorte als Proviant ins Hochgebirge zum Beispiel. Oder man umsegelt die Welt in 80 Tagen auf einem Käsebrot. Gerät man in Kalamitäten, ist einem die Aufmerksamkeit der Medien und Langweiler rund um den Globus sicher. Es gibt Leute, die mögen das. Sabine Pelzfuß gehört nicht dazu. Die Betreuung ihrer alten Mutter ist für sie abenteuerlich genug und auf neunmalkluge Ratschläge und neugierige Blicke kann sie getrost verzichten. Nunja….

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Unkündbar

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„Du siehst nicht aus, als seist du sonderlich glücklich in deinem Job“, sagte Jonas Pfeffersuder, nachdem er mich prüfend von oben bis unten gemustert hatte. In der Grundschule hatten wir zusammen am Gruppentisch „Die Hummeln“ gesessen und ich wunderte mich, dass er mich nach der langen Zeit überhaupt erkannte. Er selbst hatte sich kaum verändert, nur ein bisschen gewachsen war er. Wie zu Schulzeiten trug er kurze Hosen mit Hosenträgern und sein Specknacken glänzte in der Sonne wie ein goldener Schal aus Fett. Da ich tatsächlich nicht zufrieden mit meiner Arbeit war, nahm ich sein verlockend klingendes Angebot an. Unbefristeter…

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Auf der Goldwaage

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Durch einen simplen Katarrh bin ich unlängst einem beachtlichen Menschheitsproblem auf die Spur gekommen. Die Benutzung der eigenen Stimme verbraucht zu wenig Energie. Der Mensch vermag in beliebiger Lautstärke und endlosen Wiederholungen in Wald, Stadt und Flur Nichtigkeiten dahinzuposaunen, ohne dass es ihn die geringste Mühe kostet. Seit ein paar Tagen bringe ich nicht mehr als ein gebrochenes Flüstern zustande und bereits nach drei oder vier Sätzen muss ich ein Schläfchen halten, um wieder zu Kräften zu kommen. Da überlegt man sich gut, ob eine Sache der Erwähnung wert ist. Dazu kommt, die Umwelt ist gar nicht auf leise Töne…

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Gefühle

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Man muss immer auf das Bauchgefühl hören. So predigen es die klugen Leute und stets folgt der Ermahnung eine Anekdote, in deren Verlauf einem dies oder jenes widerfahren ist, weil man dem Rat des Bauchgefühls gefolgt ist. Die weniger Klugen kennen Geschichten über allerhand Ungemach, das ihnen erspart geblieben wäre, hätten sie auf ihr Bauchgefühl gehört. Von Haus aus bin ich keine Neiderin, doch ich kann nicht umhin, voller Sehnsucht den Geschichten über anderer Leute Bauchgefühl zu lauschen. Mein eigenes ist nämlich kein guter Ratgeber, um nicht zu sagen: eine Katastrophe. Läutet morgens der Wecker, rät mir mein Bauchgefühl liegenzubleiben….

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Kulturfolger

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In der Wohnung über mir ist ein Rudel Wölfe eingezogen. Ein Elternpaar, drei Welpen und zwei halbwüchsige Geschwister. Zunächst war ich erfreut, denn die Nachbarin, die zuvor dort wohnte, war ein missgünstiges Weib, das eimerweise Wasser vom Balkon schüttete, wenn irgendwo zu laut gelacht wurde. Die Wölfe lebten ursprünglich im Wald, doch da sie dort ständiger Bedrohung durch den Ministerpräsidenten ausgesetzt waren, haben sie bei meiner Vermieterin um Asyl angesucht. Ich muss sagen, angenehmere Nachbarn hatte ich mein Lebtag nicht. Wenn sie nachts nicht ab und zu heulen würden, merkte ich gar nicht, dass sie da sind. Die Wolfsmutter grüßt…

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Caruso

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Am Wochenende kommt mein Onkel Caruso zu Besuch. Ein unangenehmer alter Herr, der häufig „Informier dich mal!“ ruft. Aber wenn ich mir weiterhin Hoffnung auf seine Erbschaft machen will, komme ich um das vierteljährliche Wochenende mit ihm nicht herum, auch wenn ich es vorzöge, mit einem Fabelwesen einen Staatsbesuch im Reich der Mitte zu machen. Mit düsterer Mine schiebe ich den Staubsauger über den Fußboden und verwünsche meine Geldgier. Ein Papagei flattert zum Fenster herein und lässt sich auf einer Sessellehne nieder. Er schüttelt sein prächtiges Gefieder. Staub und kleine Federn rieseln auf den frisch gesaugten Teppich hinab. Das Tier…

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