„Bettelmann, Bettelmann, Siegerkranz und Opferlamm!“, singen die schmutzfüßigen Kinder bis Heute in den Gassen und außer mir weiß niemand mehr warum.
Es muss im siebten oder achten Monat des Großen Krieges Anderswo gewesen sein, als ich Bettelmann begegnete. Er hatte die Angewohnheit, mitten im Satz innezuhalten, den Kopf nach hinten zu beugen und durch einen Spalt zwischen den Schneidezähnen einen feinen Strahl zu spucken. Dabei war es Bettelmann gleichgültig, ob sich die Umgebung eignete bespien zu werden. Zusammen mit dem Tabaksaft aus feinstem Pfriem versprühte er Charme und allerlei Geistreiches, sodass kein Mensch an dieser Unart Anstoß nahm.
Verkrustete Existenzen zogen durch die Lande, frischgebacken in den Krisenherden der Großbäckereien. Die Erde verbrannt von den Einschlägen billiger Raketen und einem zu heißen Sommer. Auf Bettelmanns Wiese schlich ein Schwarm zahmer Gonaden umher und zupfte am frischen Grün. Statt Waffen schob er Buchstaben und kam so in den Genuss eines wuchernden Gartens, in dem sogar Erkenntnisbäume wuchsen, von denen er sorgsam die täglich nachwachsenden Verbotsschildchen abknibbelte.
Aus den Früchten bereitete Bettelmann Marmelade zu, die in Einmachgläsern die Regalwände seines Keller füllte. Diese Marmelade war das Einzige, womit der ansonsten freigiebige Bettelmann geizte. Nur an hohen Feiertagen rückte er hin und wieder ein Löffelchen davon heraus. Da die meisten seiner Gäste Hungerleider und Einfaltspinsel waren, schlangen sie die seltene Gabe ebenso achtlos hinunter, wie alle anderen Speisen, die Bettelmann kredenzte. So endete jeder Feiertag mit einem kolossalen Zornausbruch seinerseits, mit zertrümmerter Einrichtung und geborstenem Geschirr. Brüllend jagte er die Gäste aus dem Haus. Seine Haushälterin Hekate nutzte die stillen Stunden nach den Feierlichkeiten zum Rauswischen.
Eines späten Vormittags, es mag nach Heilig Drei Käsehoch gewesen sein, traf ich Fräulein Hekate an, wie sie in leisem Grimm die Überreste der Bescherung beseitigte. Während der Arbeit stieß sie ohne Unterlass slawische Flüche aus. Bettelmann ließ sich nicht sehen, obwohl er gemeinhin Frühaufsteher war. Allein ein klagendes Stöhnen drang gedämpft aus seinem Schlafgemach.
Den ganzen Tag über sirrte eine gewaltige Spannung über dem Haus und trieb mich im Salon auf und ab. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit ging Hekate mit Eimer, Schwamm und einer Lanze auf Bettelmanns Zimmer. Nach einer Weile wurde ich dazugerufen. Hekate trug mir auf ihr zu helfen. Gemeinsam schleppten wir den jammernden Bettelmann in eine Grabhöhle am Ende des Gartens und verschlossen sie mit einem großen Felsblock. Zum Abschied hob er müde die Hand.
Zurück im Haus verlangte ich, über das seltsame Vorgehen aufgeklärt zu werden, doch die alte Hekate winkte unwirsch ab. „In drei Tagen Auferstehung“, brummte sie.
Die nächsten Tage verbrachte ich in fassungsloser Trauer. Hekate schüttelte den Kopf über meine Tränen. Sie fläzte auf der Sitzgarnitur, ein großes Glas Marmelade auf dem Schoß. Ab und an pfiff sie ein Liedchen oder sang Trinklieder in ihrer Muttersprache.
Ich staunte nicht schlecht, als Bettelmann am dritten Tage den Salon betrat. Ein weißes Gewand umwehte die dünnen Beine und ein piepsender Cherub umschwirrte seinen aristokratischen Schädel. Er küsste mich leidenschaftlich, bevor er mit großem Hallo in den Himmel auffuhr und Fräulein Hekate, seine Gäste und mich unserem Schicksal überließ.