Kurzgeschichten

Beim Kunstarzt

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Seit einiger Zeit gehe ich regelmäßig zum Kunstarzt, um mir die Kreativitätsdrüsen ausdrücken zu lassen. Ich komme ja jetzt in die Jahre, in denen nicht mehr alles automatisch flutscht und bin ganz froh, dass ich nach langem Suchen endlich einen Facharzt, eine ausgewiesene Koryphäe, von einer befreundeten Illustratorin empfohlen bekommen habe. Der Kunstarzt ist nicht auf eine Gattung spezialisiert. Das ist für mich von besonderem Vorteil, da ich beim Markieren meines seelisch-geistigen Reviers kaum mehr kontrollieren kann, ob ich ein Lied komponieren, ein Bild schaffen oder einen Text verfassen werde. Dem Doktor ist es einerlei; er behandelt Dichtende, Musizierende und…

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Caruso

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Am Wochenende kommt mein Onkel Caruso zu Besuch. Ein unangenehmer alter Herr, der häufig „Informier dich mal!“ ruft. Aber wenn ich mir weiterhin Hoffnung auf seine Erbschaft machen will, komme ich um das vierteljährliche Wochenende mit ihm nicht herum, auch wenn ich es vorzöge, mit einem Fabelwesen einen Staatsbesuch im Reich der Mitte zu machen. Mit düsterer Mine schiebe ich den Staubsauger über den Fußboden und verwünsche meine Geldgier. Ein Papagei flattert zum Fenster herein und lässt sich auf einer Sessellehne nieder. Er schüttelt sein prächtiges Gefieder. Staub und kleine Federn rieseln auf den frisch gesaugten Teppich hinab. Das Tier…

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Passion

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Für die Sünden der Menschheit zu sterben, sich zu opfern, ist ja leicht für einen jungen Mann. Was hat man denn schon zu verlieren? Ich habe es mittlerweile im Kreuz; es zwickt und zwackt, es zieht und zerrt; das Alter nagt, es zehrt an mir. Ich wollte immer sein wie er, in Gedanken war ich wohl schon er, bereit mich aufzuopfern, dem Leben von der Schippe zu springen. Das hätte dem Ganzen einen Sinn gegeben. 6, 11, 29, 30, 35, wo kamen dann plötzlich die Zahlen her, ich wäge ab, mal so, mal so, und denke, es ist gut, weitergelebt…

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Das tückische Es

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„Man muss sich sputen, wenn man den Sonnenstrahl erwischen möchte. Wer trödelt, steht im Regen, ehe er es sich versieht.“ Das klingt nicht nur in meinen Ohren merkwürdig. „Was?“, brüllt der Hausmeister, als ich es ihm statt eines Grußes zurufe. Er weist mit einem fleischigen Zeigefinger auf den gelben Plastikhelm, der er neuerdings trägt. Ich wiederhole die Sätze etwas lauter und finde sie beim zweiten Mal abgedroschen und oberflächlich. Lieber würde ich über etwas anderes sprechen. Oder noch lieber über nichts. „Ich habe Sie schon beim ersten Mal gehört“, brüllt er. „Aber ich verstehe nicht. Der Helm schnürt mir das…

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Prozessor Hastig

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Neulich hatte ich Grund zu feiern und beschloss, mir trotz der großen Teuerung, die über das Land gekommen war, einen Falafel zu kaufen. Ich bestellte einen Teller und schaute mich im Laden um; ich war längere Zeit nicht mehr ausgegangen. Sie hatten natürlich die Preise erhöht und die Portionen verringert. „Alle Soßen?“, fragte mich der Händler. „Oder lieber nicht?“ Ich nickte, was seine Frage nicht beantwortete, aber mein Blick war auf einen unförmigen Kasten neben dem Drehspieß gefallen. „Was ist denn das für ein Ding da hinten? Das war aber letztes Mal noch nicht da.“ Er schüttete mit einer kleinen…

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Staubzeug

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Als der Reinigungsmajor vorigen Donnerstag zur jährlichen Inspektion in meine Wohnung kam, half es nichts, dass ihn die kindskopfgroßen Staubmäuse unter dem Tisch hervor böse anstarrten. Mit bis zur Stirn gerümpfter Nase tippelte er zwischen den Stapeln unerledigter Korrespondenz umher und sah sich nach einer Sitzgelegenheit um. „Hm“, brummte er, als ich mit dem Zeigefinger auf ein freies Plätzchen auf dem Sofa wies. Er ließ sich neben einem Haufen Schmutzwäsche nieder, betrachtete die gilben Staubfäden, die von der Decke hingen, und brummte erneut. Er machte sich Notizen auf seinem Klemmbrett. Das Kratzen des Stiftes machte mich nervös, also hielt ich…

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Fotogen

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An den Wänden Kalender vergangener Jahre, ein einzelnes Kinderbild daneben. Ich sei, so wurde es mir durch stete Wiederholung ins Bewusstsein geträufelt, ausgesprochen fotogen. Das muss etwas ganz besonders Gutes sein, so deutete ich die Blicke meiner Eltern auf die Bilder in den Papierumschlägen, die noch einen Hauch von Entwickler trugen. Lichterregend, so erklärte meine Schwester, sei das deutsche Wort für meine Eigenschaft, und das leuchtete mir ein, funkelte ich doch mit den Frühlingstagen um die Wette. Kaum dass ich auf Mitmenschen traf, erstrahlte ich, glühte förmlich, spendete Helligkeit und Wärme, als gäbe es kein Morgen. Heute verbringe ich die…

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Das Cerebrummen

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Dass der Mensch allein durch das Verstreichen von Lebenszeit immer klüger werde, ist ein beliebtes Motiv in einer Gesellschaft, die vom Wachstum besessen ist. Oft bekommt man zu hören, mit dem Alter käme die Weisheit oder hinterher sei man schlauer. Doch wer schon einmal seinen Schädel in Verzweiflung über den schlingernden Lauf der Welt gegen die metallumantelte Kante eines Küchenschränkchens geschlagen hat, wird widersprechen, sobald die bunten Punkte einem nicht mehr vor den Augen hüpfen. Das Gehirn ist ein leicht zu beleidigendes Organ. Beansprucht man es zu wenig, legt es sich schlafen und lässt sich nur schwer wecken, doch zu…

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… außer man tut es

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Ich lasse seit neuestem meinen inneren Schweinehund die Texte schreiben, die mir das Leben diktiert. Der sitzt dann statt meiner am Schreibtisch, während ich mich um andere Dinge kümmere. Ab und zu schaue ich bei ihm vorbei, frage höflich, ob ich ihm zu seinem Glück irgendwas reichen könnte, das Wasser etwa oder eine Handvoll getrockneter Linsen, und wenn er verneint, was er eigentlich immer tut, dann lasse ich ihn in Ruhe weiterarbeiten. Wenn er jedoch durstig ist oder einem kleinen Snack nicht abgeneigt, dann kommen wir wie heute ins Gespräch. „Worum geht’s denn?“, fragte ich unverbindlich. Der Schweinehund spülte die…

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Die Krone

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Normalerweise ernähre ich mich ausgewogen und vermeide Völlerei oder gedankenloses Schlingen. Aber hin und wieder überkommt mich das Verlangen nach dem Fett von Tieren mit viel Salz oder Zucker in Mengen, die weit über meinen Hunger hinausgehen. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die glauben, sie würden beim Essen kein Leid verursachen, wenn sie auf Mahlzeiten aus Tierkadavern verzichten. Ich höre zu oft das Gras wachsen, um mich dieser Illusion hingeben zu können. Wer sich nicht auf die hohe Kunst der Photosynthese versteht, muss töten um zu essen. Und selbst darüber ließe sich gewiss mit einem Kohlendioxidmolekül streiten, wenn man…

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