Das Gossenmaul

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Dieser Text enthält Sprache und Ausdrücke, die als anstößig oder unangemessen empfunden werden könnten. Die enthaltene Sprache dient einem spezifischen Zweck und soll bestimmte Charaktere, Situationen oder kulturelle Hintergründe authentisch darstellen. Ich empfehle, dass unbedarfte oder empfindliche Leser und Leserinnen diesen Text mit Vorsicht rezipieren. Die hier geäußerten Ansichten und Aussagen spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten des Autors oder der Herausgeberin wider:

Sybille ist nicht so wie wir. Für Sibylle sind wir die Anderen. Sybille wollte nie eine von den Anderen sein. Sybille ist praktisch unsichtbar. In der Regel beachtet man sie nicht, wenn sie vor der U-Bahnstation sitzt. Doch heute ist sie nicht zu ignorieren; Sybille ist schlecht drauf.

In rauchig-hustendem Singsang verkündet sie: „Querstreifen, warum tragt ihr plötzlich alle Querstreifen? Was glaubt ihr, wer ihr seid? Matrosen? Franzosen? Picasso?“

Die Gestreiften heben die Brauen. Sybille will, dass Köpfe sich drehen und lässt ihren inneren Antrieb aufheulen.

„Querstreifen? Ich kotze gleich. Ihr seht aus, als hätte man euch alle in die Breite gezogen, ihr kleinbürgerlichen Arschlöcher, ihr selbstgerechten Telefonanisten, ihr WLAN-Wichser!“

Einem Mann, der gerade, nichts Böses ahnend, mit dem Smartphone vor dem Mund, zur U-Bahn eilt, rotzt Sybille seitlich auf das gestreifte Oberteil. Irritiert dreht er sich nach ihr um, malevolent bleckt sie die beige-belegten Zähne, angeekelt wendet er sich ab.

Sybille ist müde. Sie gähnt, als sie mich bemerkt.

„Was glotzt du so bescheuert, Eulengesicht? Hast wohl noch nie ’ne richtige Frau gesehen, was? Eine, die beim Scheißen pfeift?“

Mein Schulterzucken, so desinteressiert es gemeint ist, provoziert Sybille; Geifer fliegt in meine Richtung.

„Querstreifen? Von 10 000 Pisserpassanten stehen sie vielleicht einer. Bevor ich mich entblöde, quergestreift zu tragen, reiße ich mir lieber die Lumpen vom Leib.“

Was Sybille dann auch tut. Zu meinem Missvergnügen und zur sicherlich unbeabsichtigten Belustigung einer Gruppe Touristen im Flegelalter.

Später finde ich einen Zettel, wo Sybille den Vormittag über gesessen hat, auf dem steht:
„Ich will für dich nach mir riechen, ich will für mich nach dir riechen.“

Und das will ich mir, bei aller Menschenliebe, nicht einmal vorstellen. So ein Gossenmaul!