In der U-Bahn mir gegenüber sitzt ein kleiner Mann – er lächelt mich erkennend an – und lässt vom Sitz die Beine baumeln. Für ihn bin ich ein Riese wohl, er sieht’s mir nach.
„So trifft man sich wieder“, sagt er und nickt mit seinem großen Kopf. „Wie geht’s uns denn dieser Tage?“
Ich murmle Unverbindliches in der Art von ‚Man kommt so durch. Wenn man es tut, ist nichts leicht im Leben’; ich hoffe, dass das Gespräch damit beendet ist. Doch mitnichten, er gluckst und kichert, er hebt den stummeligen Zeigefinger und fragt: „Haben Sie schon einmal, wie ich, den eigenen Tod erlebt? Sind Sie schon mal gestorben?“
Ich muss verneinen. Sicher, darüber nachgedacht hat wohl jeder schon. Wer kennt das nicht, in Stunden, Tagen, Wochen der Wut, der Hoffnungslosigkeit, des Nachts in wirren Träumen? Doch wirklich und wahrhaftig tot gewesen wie mein Gegenüber? Nicht, dass ich es zugeben könnte.
Ein wenig unbehaglich rutsche ich auf meinem Sitz hin und her. Die Fahrt scheint heute länger als gewöhnlich, mir fällt nichts Unverfängliches zu sagen ein, nichts, das nicht irgendwie negativ behaftet scheint. „Es ist zu nass für diese Jahreszeit“, beginne ich und verfluche mich sogleich für meine Konventionalität. Ich schaue auf meine Armbanduhr, es ist früher als ich geschätzt hätte. Ungerührt fahre ich fort: „Aber für die Landwirtschaft ist so ein Wetter natürlich von Vorteil.“
Der kleine Mann hustet vergnügt, durchbricht die Stille, die mein Satz hinterlassen hat, sagt: „Ich muss jetzt los, im Leben begegnet man sich immer zweimal.“ Er bestätigt das Gesagte nickend, hüpft von seinem Platz und winkt mir noch zum Abschied.
Bevor sich die Tür hinter ihm schließt, höre ich, wie er den Menschen auf dem Bahnsteig zuruft: „Man sollte niemals vergessen, dass sich die Vergangenheit, als sie noch Gegenwart war, ganz anders anfühlte.“ Daraufhin beschließe ich, den Tag in Stille ausklingen zu lassen.