Margarete Pelzfuß schnupperte misstrauisch, als sie ihren Briefkasten öffnete. Zwischen zwei Standardbriefumschlägen klemmte ein gelbliches Kuvert und verströmte einen ihr entfernt bekannten Duft. Sie zog es mit spitzen Fingern heraus und ließ die beiden anderen unbeachtet liegen. Eine prächtig bunte Briefmarke klebte schief in der oberen Ecke und ein Poststempel mit Wellenmuster verdeckte einen Großteil der Adresse. Margarete schnupperte erneut und eine Mischung aus Orangenschalen, Waldpilzen und muffigem Handtuch kitzelte ihre Nase. Der Brief war zweifellos von ihrem Vetter Knut. Was konnte der bloß wollen? Sie hatte nichts mehr von Knut gehört, seit er vor zwanzig Jahren nach Borneo gereist war, um – wie er sagte – mit der Natur in Einklang zu leben.
„Was soll das heißen in Einklang mit der Natur?“, hatte Tante Annemarie, Knuts Mutter, damals ins Telefon gebrüllt, „Soziale Sodomie will er betreiben, der alte Schwerenöter. Ich kenne ihn doch. Was habe ich nur verbrochen, um diesen Schweinehund als Sohn zu haben? Sag es mir, Mahgräd, sag es mir! Warum nur bist du nicht mein Kind? Was habe ich nur verbrochen?“
Andere junge Frauen hätten sich vielleicht geschmeichelt gefühlt, doch Margarete Pelzfuß war die überbordende Liebe ihrer Tante immer unangenehm gewesen, zumal sie fest verbunden zu sein schien mit einem zersetzenden Hass gegen ihren Sohn und alles, was er sagte oder tat.
Als ihre Augen über die knorrigen Buchstaben glitten, dröhnte ihr die geifernde Stimme von Tante Annemarie in den Ohren und legte sich zusammen mit der Ankündigung von Knuts Besuch eng um ihren Leib, wie ein zu kleiner Rollkragenpullover aus Glaswolle und Fensterkitt. Familie hatte diese Wirkung auf Margarete.
Sie hob den Blick uns sah den schlafenden Knut in ihrem Vorgarten liegen. Den Kopf hatte er auf den Panzer einer Riesenschildkröte gelegt und ein Äffchen saß auf seiner Schulter und liebkoste ihm den Backenbart.
Margarete Pelzfuß brachte es nicht über sich, ihn zu wecken und reiste stattdessen nach Borneo.