Der stadtbekannte Zauberer Piconelli und sein zahmes Äffchen, dem er beigebracht hatte, kleine Pappschilder in die Höhe zu halten, auf denen motivierende Botschaften wie ‚Liebet einander!‘, ‚Tut Buße!‘, ‚Das Ende ist nah!‘ und, später, als der Lockdown uns schon monatelang in seinem harten Griff hielt, ‚Das Ende ist da!‘ geschrieben waren, hatten heute wieder einen Auftritt in der Fußgängerzone.
Wir Kinder liebten den schrulligen Straßenmagier und hätten nicht geglaubt, wenn uns jemand erzählt hätte, dass sich hinter der ebenso freundlichen wie expressiven Maske Piconelli ein fanatischer Apokalyptiker verbarg, dessen Zauberkunststücke keine gekauften und erlernten Taschenspielertricks waren, sondern wahre Zeichen und Wunder, die aus seinem festen Glauben an das Ende der Welt erwuchsen.
Ich hatte einmal mit eigenen Augen bezeugen können, wie er aus einer Schale mit einem knappen Dutzend kaltgewordener Pommes Frites 83 Obdachlose speiste und am Ende noch genug übrig gewesen war, dass wir Jungs zahllose, flanierende Passanten aus Mutwillen mit dem fettigen Imbiss bewerfen konnten.
Heute war das Publikum überschaubar; circa zwölf vornehmlich ältere Zuschauer sahen staunend und ein wenig ungläubig, wie Piconelli einem Blinden das Augenlicht schenkte, zwei Besessenen die bösen Geister austrieb und einen mitgebrachten Pappbecher Wasser in ein Glas mit feinstem Spätburgunder verwandelte. Sein Äffchen klatschte jedes Mal vor Freude in die Hände.
Ein rüstiger Rentner war nicht überzeugt. „Das ist doch alles nur ein Trick!“, rief er und zwei voluminöse Damen neben ihm nickten geziert nachdrücklich.
Doch mit Piconelli war heute nicht gut Kirschenessen. Er trank den Wein in einem Zug aus, seine Augen verengten sich, schwefelgelbe Flämmchen stoben ihm aus den Nasenlöchern, er hob die Hände, ein Blitz fuhr aus einer oberbettgroßen Wolke hernieder und spaltete krachend die Schädel der drei Zweifler. Der Affe zog das Hütchen und verbeugte sich.