Wo ich herkomme, sagt man, der Neid ist ein Hund. Von dem wiederum wird behauptet, er sei des Menschen bester Freund. Mein bester Freund heißt Konstantin Bleiwammer, aber ich sage Boltzmann-Konsti oder bloß Boltzmann, wie alle Welt seit Schulzeiten. Eigentlich mag ich ihn nicht sonderlich. Er ist ein Schwindler und riecht ein bisschen nach Ravioli aus der Dose. Außerdem haut er immer gleich zu, wenn ihm etwas gegen den Strich geht.
Doch mein Vater sagte oft beim Abendessen, mit vollem Munde, während er mit der Gabel selbstherrliche Gesten ausführte: „Behalte dir deine Freunde, auch wenn sie unliebsame Schwachköpfe sind und dir die Zeit stehlen, denn Freunde sind das Salz in der Suppe des Lebens!“
Meine Mutter schlug ob seiner Rede die Hände über dem Kopf zusammen und flehte leise um Gottes Hilfe. Sie lebte in beständiger Furcht vor der Nutzlosigkeit, und der Gedanke, jemand könne sehenden Auges seine Zeit vertrödeln, gab ihr viel Anlass zum Beten.
An einem Wintertag mit Sonnenschein spaziere ich mit Boltzmann-Konsti die Straße entlang.
„Stell dir vor, alle Machtverhältnisse kehrten sich von einem Augenblick auf den anderen um. Die Sklaven wären Herren und die Angestellten Chefs und Lehrer Schüler und …“, er holt Luft.
„Ich stelle es mir vor“, erwidere ich und bin nicht sicher, wer ich nach einer Umkehrung der Machtverhältnisse wohl wäre.
„Das wär‘ doch was!“, ruft er voller Begeisterung und knufft mich mit dem Ellbogen in die Seite. „Dann könnten wir es denen mal so richtig zeigen.“ Er lässt die Faust in die speckige Handfläche klatschen.
„Wem denn?“, will ich wissen.
„Na, diesen ganzen feinen Drecksäcken, die es immer so gemütlich haben und die keine Sorgen kennen.“ Er deutet mit dem Kinn auf die Fensterscheibe eines Kaffeehauses, wo eine Dame sich ein Stück Torte in den Mund schiebt.
„Was passiert mit den Haustieren bei so einer Umkehrung? Mit den Hunden, Katzen und Wellensittichen?“, frage ich.
„Das wird sich zeigen. Ich brauche nur mit dem Finger zu schnippen, dann geschieht es sogleich.“
Boltzmann-Konsti leidet manchmal an Größenwahn. Er schnippt mit dem Finger. Kurz darauf kommt ein Rudel Wölfe um die Ecke. Sie stürzen sich knurrend auf Boltzmann und reißen an seinem Fleisch, bis er sich nicht mehr rührt. Der Leitwolf, ein schmutzig-graues Tier mit gelben Augen, sieht mich kurz an und murmelt etwas Unverständliches, bevor er den Kadaver hinter ein Gebüsch zieht. Traurig lausche ich dem Schmatzen der Tiere und gehe nach Hause. Irgendwie mochte ich ihn doch.