Eigentum

‚Eigentum ist Diebstahl‘ steht auf dem Schild, das, auf der letzten Demonstration fallengelassen und liegengeblieben, mir während meines wöchentlichen Nachmittagsspaziergangs erst auf den zweiten Blick ins Auge fällt. Bis vor kurzem hätte ich es wohl völlig übersehen; es wäre mich nichts angegangen und ich hätte inhaltlich bestenfalls semi-interessiert zugestimmt, aber seit neustem bin ich Besitzer einer 4200 ha großen Organplantage. Ich züchte Menschen.

Das klingt aufregender als es ist, denn ich muss nicht viel tun. Unterkunft stellen, mich um Nahrung und eine medizinische Grundversorgung kümmern, sind ja keine Tage füllenden Tätigkeiten. Manchmal muss ich abends an die Fenster der kleinen Hütten klopfen und ein aufmunterndes ‚Aber nicht das Fortpflanzen vergessen!‘ hören lassen; davon abgesehen, sind meine Aufgaben sehr überschaubar.

Rauchen und der übermäßige Genuss von Alkohol sind auf der Plantage untersagt, aber einmal an den Gesundheitssinn der Organspender appelliert, ist die Durchsetzung des Verbots ein Kinderspiel. Lungen und Leber sind bei meiner Kundschaft sehr begehrt und ich bin bekannt für erstklassige Ware. So etwas spricht sich schnell herum und ich kann mich wahrlich nicht über mangelnde Bestellungen beschweren.

Eine Goldgrube nannte der Vorbesitzer – ein älterer Herr, ein Cousin der Mutter meiner Frau, der sich nach Jahren erfolgreicher Zucht zur Ruhe setzen wollte – die Plantage, und ich bin schon nach wenigen Tagen gewillt, ihm zumindest nicht zu widersprechen.

„Eigentum ist super“, antworte ich dem Schild, obgleich es mich nun verachtend anschweigt.