Von meiner Großmutter habe ich einen Minutenvogel geerbt. Ein Tier ohne jeden Nutzen. Schönheit ist er auch keine. Nicht einmal fliegen kann er. Tagein tagaus hockt er in seinem Käfig, flappt ab und an mit den Stummelflügeln und schreit nach Nahrung. So ein Minutenvogel frisst fünfzehn bis zwanzig Uhren am Tag. Das geht ganz schön ins Geld, denn Plastikuhren aus Taiwan verschmäht er. Es müssen Markenfabrikate sein oder wenigstens Sanduhren. Mit seinem Schnabel schnappt er durch die Gitterstäbe des Käfigs. Manchmal kommt Besuch. Dann werde ich gefragt:
„Was ist denn mit dem Pinguin los? Ist er krank?“
Niemand hält einen Pinguin als Haustier. Die Leute haben abstruse Ideen. Zu allen Gelegenheiten wünsche ich mir Uhren. Ich durchstöbere Versandhauskataloge nach günstigen Angeboten und kaufe bankrotten Geschäften die Lagerräume leer. Mein Leben ist eine Jagd nach Uhren. Früher bin ich gern zum Tanz gegangen oder in die Berge. Auch Theaterbesuche unternahm ich dann und wann. Für Vergnügungen habe ich keine Zeit mehr. Ein Minutenvogel kann achthundert Jahre alt werden. Meiner ist seit vier Generationen in Familienbesitz. Wenn die Nacht hereinbricht, lege ich eine Wolldecke über den Käfig. Der Vogel tickt im Schlaf. Die ersten Monate konnte kaum ein Auge zu tun. Ich verlor meine Arbeit, denn ich schlief in der Amtsstube ein. Zum Glück lernte ich Herrn Raspe kennen. Er ist Uhrmacher und versorgt mich mit Nachschub. Im Sommer fahren wir gemeinsam mit dem Minutenvogel nach Texas. Dort kann das Tier an einer großen Sonnenuhr picken, während wir zum Tontaubenschießen gehen. Vielleicht geschieht ein Unglück, und der Minutenvogel wird von einem Querschläger getroffen. Dann, sagt Herr Raspe, habe ich alle Zeit der Welt für ihn.