Ein neuer Panzer

Ich hatte mal einen Freund, genauer gesagt, einen Bekannten, noch genauer gesagt war er ein berufsmäßiger Bettler vor dem Laden, in dem ich einzukaufen pflege, jedenfalls, und darauf wollte ich eigentlich hinaus, hatte ich ihn einige Wochen nicht mehr gesehen und allmählich fing ich an, mir Sorgen zu machen.

Doch gestern Morgen, ich schloss gerade mein Fahrrad an den zu meinem Supermarkt gehörigen Fahrradständer, kam mein Freund, Bekannter, also der Bettler Kalle, mit Getöse, Gerappel und Geknatter, quietschend und rasselnd, in einem offenen Schützenpanzer auf dem Gehsteig angefahren. Das Brummen und Dröhnen ließ die Passanten sich die Ohren zuhalten; ein Baby schrie vor Schreck auf, der junge Vater hatte alle Mühe, es zu beruhigen. Eine ältere Dame schüttelte angesichts des Ungetüms verständnislos den Kopf.

Kalle trug kein Oberteil und seine Brustwarzen standen spitz nach vorne ab. Er hatte einen krummen Rücken und auf seinem Buckel wuchs ein grau-roter Pelz. Kalle lugte aus der Luke des Panzers und er hielt das Schützenfahrzeug quietschend neben mir.

„Mensch, Felix, dass ich dich hier treffe!“

„Mensch, Kalle, lange nicht mehr gesehen! Wie ist es dir in der Zwischenzeit ergangen? Geht’s dir gut? Ich sehe, du trägst jetzt Kyphose?“

Kalle lächelte in müder Nachsicht und nickte. „Das kommt vom andauernden Fahren in diesem Ding. Wie findest’n?“

„Den Panzer? Ungewöhnlich. Hier im Viertel sind wir ja eigentlich nicht so miltaria-begeistert, aber das gilt ja auch nur in unserer Blase, ich denke …“, sagte ich und machte eine bedeutungsschwere Pause, „ich denke, er passt zum Zeitgeist.“

Kalle lächelte, als hätte ich seinen Hund gelobt. „Ganz recht. So sehe ich das nämlich auch. Gewappnet zu sein ist das Gebot der Stunde.“

Mir kam da ein Gedanke. „Apropos ‚Gebot der Stunde‘, sind wir nicht eigentlich angehalten, Treibstoff zu sparen? Der Panzer verbraucht doch sicher einiges. Wie kannst du dir als, ich bin mal so frei, es beim Namen zu nennen, Bettler so’n Ding überhaupt leisten?“

Kalles Lächeln verbreiterte sich zu einem gelbzahnigen Lachen. „Das ist ja das Gute! Der fährt mit Angstschweiß, Tränen und flüssiger Wut.“

Ich war mir nicht sicher, ob ich das auch ‚das Gute‘ genannt hätte, und sprach meinen Zweifel vorsichtig aus, aber das war Kalle vollkommen egal. Ich entschied, dass ich mit einem Mann in einem neuen Panzer keine Unstimmigkeiten kultivieren wollte.

Also entschuldigte ich mich mit einer fadenscheinigen Begründung und setzte meinen Einkauf fort. Die ältere Dame traf ich auf dem Heimweg wieder; die hatte noch immer kein Verständnis für Kalles Possen und wer würde ihr ihren Unmut verübeln?