Wenn Oma Frische Suppe machte, roch schon das Treppenhaus nach Verwesung. Ich wurde bei ihr abgesetzt, und meine Eltern fuhren weiter zu ihren Unternehmungen. Mutter war seit einiger Zeit Hobby-Paläontologin und Vater fand es nicht gerecht, wenn sie alleine zu den Grabungsstätten fuhr. Er war ein Mann vieler Leidenschaften, doch ein eigenes Hobby war nicht darunter. Außerdem wurde seine Persönlichkeit von Eifersucht und Verlustängsten dominiert, Charakterzüge, die er mir, wie den Hang, nach den Mahlzeiten unangekündigt auf dem Küchenstuhl einzunicken, nach seinem frühen Ableben, selbstlos vermacht hat.
Sonst erbte ich nichts; während alle Verwandten sich mit seinem Hab & Gut die mitgebrachten Taschen, Koffer und Rucksäcke füllten, war es an mir, die Tafeln nach dem Leichenschmaus abzuräumen und die Stühle ordentlich unter die Tische zu schieben. Als alle gegangen waren, setzte ich mich in eine Ecke und verbarg mein Gesicht in den Händen.
Ich dachte an Oma und was sie immer über den Vater sagte. Ein Hallodri, ein Taugenichts sei er und dass meine arme Mutter etwas Besseres verdient gehabt hätte. Ich glaube, sie schämte sich meiner, auch und besonders wegen des pietistischen Kinnbarts, den ich mir schon als 8-Jähriger hatte wachsen lassen und der sie immer an meinen Vater erinnerte, wenn sie mich ansah.
Trotzig blickte ich von meinem Suppenteller auf und weigerte mich weiterzuessen bis mir meine Eltern etwas von den Grabungen mitgebracht hatten. Vieles ertrug die Großmutter, aber Essensverweigerung gehörte, anders als die fortwährenden Hänseleien meines Opas bezüglich ihres dichten krausen Haars oder ihrer krummen Nase, nicht dazu und so passierte es regelmäßig, dass sie sich vergaß und meinen Rücken mit einem Kochlöffel traktierte bis ich meine Unzulänglichkeiten einsah und die Frische Suppe schlürfte, dass die liebe Sonne ein Wohlgefallen an mir hatte. Was die Sonne und die Großmutter nicht wussten, war, dass ich die Suppe nicht hinunterschluckte, sondern in meinen Backen sammelte, um am Nachmittag den Kleingarten meines Opas mit ihr zu wässern.
Wieder sitze ich in der Ecke und denke darüber nach, dass alles fließt und sich so niemals etwas ändert, ja, ändern kann.