Gefühle

Man muss immer auf das Bauchgefühl hören. So predigen es die klugen Leute und stets folgt der Ermahnung eine Anekdote, in deren Verlauf einem dies oder jenes widerfahren ist, weil man dem Rat des Bauchgefühls gefolgt ist. Die weniger Klugen kennen Geschichten über allerhand Ungemach, das ihnen erspart geblieben wäre, hätten sie auf ihr Bauchgefühl gehört.
Von Haus aus bin ich keine Neiderin, doch ich kann nicht umhin, voller Sehnsucht den Geschichten über anderer Leute Bauchgefühl zu lauschen. Mein eigenes ist nämlich kein guter Ratgeber, um nicht zu sagen: eine Katastrophe.
Läutet morgens der Wecker, rät mir mein Bauchgefühl liegenzubleiben. Möchte ich abends früh zu Bett gehen, schlägt es vor, den Nachthimmel zu betrachten, bis das Licht wechselt.
„Kauf dir ein Pony!“, ruft es mir zu oder: „Das kannst du auch morgen erledigen! Du brauchst mehr Hunde!“. Zahllose Möglichkeiten zogen im Leben ungenutzt an mir vorüber, denn mein Bauchgefühl wisperte, ich solle nur nichts überstürzen. Den Antrag eines reichen Edelmanns mit weitläufigen Ländereien lehnte ich aus Bauchgefühl ab und bin bis heute arm wie eine Kirchenmaus.
Aber ich will mich nicht beklagen. Die Göttin schenkte mir ein zuverlässiges Beingefühl, so dass mich meine Füße stets rechtzeitig das Weite suchen lassen. Das hat nicht jeder.