Die Seele ist ein Gas. Genaueres weiß man nicht. Ob es gesammelt wird, um aufsässigen Menschen die Schleimhäute zu reizen oder damit man nachts besser schlafen kann, wird im Radio nicht berichtet. Gewiss kann man daran ersticken, wir ersticken vielleicht alle daran, früher oder später.
Meine Nachbarin ist vor dem Erstickungstod gefeit, denn sie hat keine Seele. Tagein tagaus ist sie hektisch damit beschäftigt, eine vorzutäuschen. Sogar ein Ehrenamt in der Kinderklinik hat sie zu diesem Behufe angenommen. Unermüdlich bietet sie ihre Hilfe an, egal ob Umzüge, Liebeskummer, Blumengießen, eingewachsene Zehennägel oder Familienaufstellungen. Sie kennt sich mit allem aus, was es im Universum gibt und hat Bärenkräfte.
Die ersten Jahre dachte ich mir, nirgends könne es eine bessere Nachbarin geben. Bis Herr Nimic kam. Herr Nimic ist ein Unglücksrabe. Er bekommt den Schnupfen und seine Haustiere sterben am Schlaganfall. Marmeladegläser öffnen sich in seiner Aktentasche. Aber das ficht ihn nicht an. Er jammert und seufzt ein wenig, schüttelt seine Fäuste und rauft sich die Haare. Aber er möchte keine Hilfe. Höflich lehnt er ab, wie verlockend die Angebote meiner Nachbarin auch sein mögen.
Längst ist sie nicht mehr freundlich zu ihm. Im Stiegenhaus höre ich, wie sie den anderen Hausbewohnern Lügengeschichten über ihn erzählt und zischt, er hätte an seinem Unglück selbst schuld. Ihr Gesicht hat gemeine Furchen bekommen, die sie mit Schminkfarbe übermalt. Als vorige Woche der Sammler da war, um die Gaskesselchen zu leeren, runzelte er besorgt die Stirn, als er in ihrem nur teerige Flocken fand, die einen üblen Geruch absonderten.
Ich überlege, ob ich nicht lieber umziehen soll. Aber ich habe Herrn Nimic ins Herz geschlossen.