Iris hasst den Weg zur Praxis. Treppenstufen in nahezu unendlicher Anzahl, der Geruch von ranzigem Bohnerwachs, das Knarren der Dielen im Gang stoßen sie fast magnetisch ab.
„Ah, Frau Gleichen, Sie sind spät dran heute. Na, erzählen Sie mal! Was ist denn das Problem?“
In der schattenverhangenen Praxis ist es stickig vom aufwirbelnden Staub der Behandlungscouch und der Decke, die zwar frischgefaltet ist, die aber den Geruch von Katzenurin ausdünstet. Die Katze selbst wird stundenweise ins Nebenzimmer gesperrt. Iris entfernt wie immer, wenn sie hier ist, dünne Haare vom Überwurf.
„Kein Problem. Ich lebe, wenn Sie das meinen. Zu meckern gibt es natürlich immer, aber kein Problem, auf das ich mit dem Finger weisen könnte. Aber ist das verwerflich, frage ich Sie?“
Der Therapeut schaut an Iris vorbei auf die vergilbten Portraits an der Wand. Die Augen der Abgebildeten blicken milchig stumpf zurück.
„Sagen Sie es mir, Frau Gleichen! Was glauben Sie denn?“
Iris glaubt mit einem Mal, nein, sie weiß, dass sie zu Hause in ihrem Bett liegt. Warum dachte sie gerade, dass sie ist, wo sie nicht ist? Wenn sie sich so umblickt, fällt ihr auf, dass sie auch vorher noch nie hier war. Sie bläht die Backen auf und drückt die Luft pfeifend hinaus.
„Die Welt wird schon nicht untergegangen sein, wenn ich morgen früh aufwache. Wenn ich aufwache.“
„Frau Gleichen, wir sprachen über das Verwerfliche Ihres Handelns oder Nicht-Handelns, aber Sie dissoziieren schon wieder.“
Und dem vermochte Iris beim besten Willen nicht zu widersprechen. Kein Problem.