„Wer produziert denn hier wieder Strom?“
Vaters Stimme klang ungehalten. Wir Kinder schauten einander betreten an.
„Ich seh es doch auf dem Zähler; irgendjemand hat hier wieder Strom produziert.“
Seit uns Onkel Werner letztes Jahr zu Weihnachten einen seiner handbetriebenen Dynamos mitgebracht hatte, war die Stimmung bei uns zu Hause schlecht. Vater wollte nicht im Kreise seiner Angehörigen als Energie-Bittsteller dastehen, vor allem nicht vor seinem älteren Bruder Werner, der schon immer das schlohweiße Schaf der Familie gewesen war und der, seitdem ich mich erinnern konnte, ein Auge auf meine Mutter geworfen hatte.
Meine kleine Schwester fing an zu weinen. Sie liebte den Strom und den kleinen, formschönen Taschendynamo noch viel mehr. Sie war es auch hauptsächlich, die den Strom heimlich, wenn der Vater nicht auf den Zähler achtete, produzierte und sich am Schein der elektrischen Deckenlampe in ihrem Puppenhaus erfreute, aber heute, da war ich mir ziemlich sicher, hatte sie den ganzen Tag an einem Lied für Onkel Werner herumgedichtet. Nein, heute hatte ich meine Mutter im Verdacht, den Strom zu erzeugen. Sie wurde immer ganz aufgeregt, wenn ihr Schwager einen Besuch angekündigt hatte, und diese Energie entlud sie im Drücken und Quetschen des Dynamos.
„Übe doch schon mal das Lied für deinen Onkel!“, forderte sie meine Schwester auf. „Das soll ja auch schön werden.“
Und meine Schwester fing an, mit hoher, klarer Stimme zu singen:
„Strom, Strom, wir lieben dich so sehr,
Du bringst uns Licht und Wärme, mehr und mehr.
Mit dir kommt Freude und Bewegung ins Spiel,
Strom, du bist für uns so viel.“
Mutter sah enttäuscht aus.
„Das ist aber sehr holprig“, sagte sie seufzend und wendete sich ihrem Mann zu: „Wie findest du es denn? Du sagst mal wieder gar nichts. Es ist ja immerhin für DEINEN Bruder.“
Vater raufte sich, statt einer Antwort, das verbliebene Haar.