Möglichkeiten

Mein Großvater war stets darum bemüht, klüger zu wirken, als er es tatsächlich war. So pflegte er zu sagen, er habe den Braten längst gerochen, wenn er jemandem auf die Schliche gekommen war. Als sei das Riechen eines Bratens eine komplizierte Sache, die besondere Fertigkeiten oder geheime Kenntnisse erfordere. Dabei bog sich die Gasse sonntags unter Bratenduft und jeder, der eine Nase hatte, konnte schwerlich etwas anderes riechen.
Nun sind meine Großeltern längst gestorben und ich vermisse beide nicht, denn sie haben unserer Familie viel Unheil gestiftet, das auch der prachtvollste Sonntagsbraten nicht wettzumachen vermochte.
Hätten die beiden etwas länger gelebt, wäre ich vielleicht in der Lage gewesen, mit mehr Verständnis auf ihr Tun zu blicken. Der unnachgiebige Zorn meiner Jugend wäre unter Umständen einer Altersmilde gewichen, die zwar fad und feige gewesen wäre, dem unseligen Schalten und Walten der Großeltern jedoch die Schärfe nehmen hätte können. Womöglich.
Bei so vielen Möglichkeiten bekomme ich das Ziehen in den Nebenhöhlen und es wird nicht lange dauern, bis ein schillernder Spekuliertropfen an meiner Nasenspitze hängt. Da bleibe ich lieber bei den Fakten, auch wenn sie nicht der Wahrheit entsprechen.
Mein Großvater war ein eitler Widerling, den die Leichenberge unter seinen Füßen nicht kümmerten, solange er beim Einherstolzieren eine glänzende Uniform tragen konnte. Meine Großmutter ließ sich ihre Einwände mit Perlenketten und Fuchspelzen in den Hals stopfen. Sie war zufrieden, solange Fremde nicht schlecht von ihr dachten. Ihr Braten schmeckte mir vortrefflich. Über meinen Großvater weiß ich nichts Gutes zu berichten.