Morgengrauen

Theo Klammheimer sitzt in der Dunkelheit und hält ein dick belegtes Wurstbrot auf dem Schoß. Das Knurren seines Magens scheucht ein kleines Tier im Unterholz auf. Nicht direkt im Unterholz. Eher im Gestrüpp. Er vermutet einen Igel, aber so genau kennt er sich mit Tiergeräuschen nicht aus und sehen kann man gar nichts. Das Tier nähert sich. Theo hält den Atem an. Das ist ihm noch nie passiert. Seit 17 Jahren sitzt er jede Nacht im Hof auf seinem Hocker und wartet auf den Sonnenaufgang, um sein Frühstück im ersten Morgenlicht einzunehmen. Noch nie hatte er dabei Gesellschaft und der Gedanke daran ist ihm unbehaglich. Selbst wenn es sich nur um ein Tier handelt: Ein Wurstbrot und ein Zwiegespräch mit Gott – so beginnt Klammheimers Tag. Für jemanden anderen ist da kein Platz. Etwas berührt seine Schuhspitze und brummelt. Theo macht eine vorsichtige Bewegung mit dem Fuß, um das Tier zu verscheuchen. Statt zu verschwinden, spricht es ihn an.

„Gib mir die Hälfte von deinem Wurstbrot ab. Es soll dein Schaden nicht sein.“

Theo Klammheimers Griff um das Brot verstärkt sich, seine Finger graben sich in die Krume. Den Teufel wird er tun. Und überhaupt, ein sprechender Igel. Das ist lachhaft. Dennoch schüttelt er verneinend den Kopf.

„Nun gib schon her, stell dich nicht so an! Ich habe Mordshunger. Wenn ich nicht gleich was zu Essen kriege, passiert was.“

Das Tier klettert langsam an Klammheimers Bein hoch. Er ist sich nicht sicher, ob Igel klettern können. Womöglich ist es etwas anderes. Panik ergreift ihn und er lässt mit zitternden Händen das Brot sinken. Gieriges Schmatzen ist zu hören. Wenig später fällt das Licht der Morgensonne auf Theo Klammheimers leeren Hocker.