Ich mag keine Jahrestage. Anfangs sind die noch aufregend, wenn man keine eigenen Erinnerungen hat, aber irgendwann treffen sich dann Bombenattentat, Geburtstag vom Herzensfreund, der sich mit Absicht zu Tode gesoffen hat und das Jubiläum von Eddy Grants erster Hitsingle am selben Tag und man fragt sich, warum einen nicht längst der Teufel geholt hat, obwohl man weiß, dass der Teufel einen heutzutage holt, indem er einen da lässt, wo man ist. Dazu kommen die Jahrestage der Lebenden, an die man mit vorwurfsvollen Untertönen erinnert wird, weil man das erste gemeinsam gegessene Vanilleeis vor sechs Jahren vergessen hat.
So entstehen krebsartige Wucherungen von Jahrestagen, die einen mit klebrigen Klauen am Genick packen, bis man den Kopf nicht mehr bewegen und nur noch auf die von Fliegendreck fleckige Fensterscheibe starren kann. Johanna Pelzfuß starrte also. In ihrem Kopf prallten die Jahrestage knallend und kreischend aufeinander. Ein dumpfer Schmerz wanderte durch ihren Körper, als würden ihr an verschiedensten Stellen Backenzähne gezogen.
Johanna Pelzfuß hätte gerne ein wenig geweint, doch diese Erleichterung war ihr in den letzten Jahren immer seltener vergönnt gewesen. Also lächelte sie vorsichtig, breitete die Arme aus und flüsterte: „Herzlich willkommen!“
Johanna war wild entschlossen, dem Leben etwas Gutes abzugewinnen, selbst wenn es sich von seiner düstersten Seite zeigte.
Die Jahrestage umschwirrten sie dröhnend, brüllend und klagend, immer mehr wurden es, immer rasender umtanzten sie Johanna Pelzfuß, die mit gespitzen Ohren dem verführerischen Raunen lauschte, das mit einem Mal aus einer Ecke ihres Zimmers erklang. Sie lauschte, bis ihre Haare Feuer fingen, ihr einladendes Lächeln in Flammen stand und sie am Ende zu einem Häufchen weicher Asche verbrannt war.
„Ich habe ihr immer gesagt, dass Güte hierzulande bestraft wird, aber sie wollte ja nicht hören“, meinte die Hauswirtin, als sie den Ascheimer in den Hof trug.