Unsere Herkunft hilft uns dabei, die Geheimnisse der Welt zu entschlüsseln. Lebte man am Boden eines Alpentals und spräche mit einer Fabrikarbeiterin über die da oben, würde man wahrscheinlich nicht über denselben Personenkreis reden. Trotzdem könnte man sich vielleicht einig werden, dass mit denen da oben etwas nicht stimmt. Mit Latein verhält es sich ähnlich. Und es gibt ja auch Fabriken, die am Boden von Alpentälern stehen, aber um die geht es hier nicht. Das wird sonst zu kompliziert.
Jedenfalls, als Kind dachte ich, Latein sei eine Sprache für Zauberer und Pfarrer. Einen lateinsprechenden Arzt oder Juristen hätte ich für einen Scharlatan gehalten. Sie fragen sich gewiss, was für ein Kind bitteschön über Latein und Scharlatanerie Bescheid weiß. Ein Kind wie ich. Meinen Vater besorgte meine Klugheit. Was, wenn die anderen Kinder mich schikanieren würden? Er beschloss, sollte ich je einem Irrtum aufsitzen, mich aus Gründen der Geistesnivellierung dort hocken zu lassen. Zudem fand er es possierlich, wenn ich zum Beispiel dachte, man könne Gulag von Beruf sein.
So begab es sich, dass ich meine in der Küche hantierende Großmutter Petunienomelett sagen hörte, als mein Vater sie etwas Unverständliches fragte. Beim Essen untersuchte ich das Omelett sorgfältig, konnte aber beim besten Willen keine Blumen darin entdecken.
„Die sind ganz feingehackt“, sagte mein Vater mit einem sanften Lächeln. Ein Lächeln, das ich erst viel später als den Vorboten kindlichen Spotts zu erkennen wusste.
Aber ich verrate Ihnen was: So kross gebratene Petunienomeletts wie bei meiner Oma gibt es nirgendwo.