In der Mitte meines Zimmers hat sich ein Loch aufgetan – ein Loch, bestimmt 20 Meter tief. Aus ihm dringen Gefahr verheißende Geräusche, gestern Abend hörte ich eine Frau weinen. Ich rief in das Loch und bot meine Hilfe an, doch die Frau ließ sich durch meine Worte nicht beruhigen. Vielleicht hat sie mich auch nicht verstanden, was mich nicht wundern würde, denn um sie herum wurde geschrien, geschossen, gehupt, geknallt und gehämmert.
Die Frau hat möglicherweise Hunger, urteilte ich und eilte in die Küche. Irgendwo war doch bestimmt noch etwas Essbares. In einer Ecke des Kühlschranks fand sich eine Konservendose ohne Etikett oder sonstige Beschriftung. Ich warf die Dose in das Loch hinein und erwartete vergeblich Dank für die Mühen, die ich auf mich genommen hatte.
Wenigstens das Weinen hatte zu meiner großen Erleichterung aufgehört; ich ging zufrieden zu Bett. Mitten in der Nacht erwachte ich, erhob mich, schlug mir tadelnd mit der flachen Hand gegen die Stirn, eilte erneut in die Küche, kramte in der Schublade nach dem Dosenöffner. Stracks brachte ich ihn ins Wohnzimmer. Aus dem Loch tönten noch immer Schreie, Hupen, Schüsse, Bohrmaschinen – man kennt das ja; die weinende Frau hörte ich nicht. Unbeirrt warf ich den Dosenöffner in das Loch und ging wieder Schlafen. Wie kann man nur derart unsensibel gegenüber den Bedürfnissen seiner Mitmenschen sein, dachte ich noch, aber die Antwort habe ich schon nicht mehr mitbekommen.
Ich erwachte im selben Bett zu anderer Stunde und fand mich über und über mit Blütenblättern bedeckt. Vor dem Bett stand eine Gruppe dunkel gekleideter Personen, die ich im spärlichen Licht nicht gleich als meine Familie erkannte. Ein Geistlicher murmelte ein Gebet und meine älteste Tochter sang eine klagende Weise.
Das wird ein schlechter Traum sein, befand ich, ahnend, dass es keiner war. Ich mache mir in solchen Dinge zu gerne etwas vor und bin darüber hinaus oft zu leichtgläubig.
Der Geistliche berührte meine Stirn und schloss mir die Augen – ich ließ ihn gewähren. „Vertraut den Wegen des Herrn, auch wenn es in dieser schweren Stunde nicht leicht fällt“, sagte er mit warmer hoffnungsspendender Stimme. Mir war er auf Anhieb sympathisch, auch das will schon was heißen. Trotz meiner Leichtgläubigkeit bin ich Fremden gegenüber anfangs recht scheu.
Meine Familie wendete sich ab, ich wurde weggeschafft und lebe seither auf dem Santa Cassilda Friedhof, nahe der Stadt La Coruña. Falls Sie mal dorthin kommen, würde ich mich unter Umständen über Ihren Besuch freuen. Versprechen kann ich es allerdings nicht.