„Teilweise hast du recht“, sagte Irmgard, den Tonfall ihres Mannes nachahmend, wenn der mal wieder genervt von der Einfalt seiner Mitmenschen, sich anschickte, sein überlegenes Wissen mit der Welt zu teilen. „Es ist niemals nur schwarz, niemals nur weiß, wenn man sich traut, die Theorie mit der Praxis zu vergleichen. Auf dem Papier kann man natürlich klar unterscheiden, was richtig und was falsch ist.“
Sie nahm einen herzhaften Schluck aus der Bierflasche. Das Bier war warm und schal, abgestanden wie Deodorant an einem schwülen Tag; sie hob den Arm ein wenig und roch an ihrer Achselhöhle. Ihr Mann stierte auf seine Schuhe. Als wären sie von einer äußeren Kraft angetrieben, wackelten seine Zehen.
„Hör auf damit! Hör doch mal auf!“, fuhr Irmgard ihren Mann an, dessen Zehen doch früher nicht gezappelt hatten. Was war nur passiert? Hatte sie sich womöglich auf jemanden eingelassen, der das Potenzial zwar in sich gehabt hatte, mittlerweile aber mit nichts als Enttäuschung in den gemeinsam verbrachten Tagen und Wochen aufwartete? Irmgard nahm einen neuen Schluck; die Flasche war so gut wie leer. Ob sie ihren Mann Nachschub holen lassen sollte? Der war, nüchtern betrachtet, in keinem guten Zustand.
„Aber wie gesagt“, knüpfte sie an, „zum Teil gebe ich dir sogar recht: Der Sommer ist warm, das ist etwas Positives, also Uhr vorstellen. Ganz simpel. Und wenn man sich eins von zwei Dingen gemerkt hat, ist das andere dann eben das Andere. Aber du musst ja nicht gleich jeden mit deiner schroffen Art vor den Kopf stoßen. Was können denn die Leute dafür?“
Zu Irmgards großer Überraschung und nicht geringer Freude kamen die Zehen ihres Mannes schlagartig zur Ruhe; er richtete sich auf, nahm ihr Gesicht in die klebrigen Hände und hauchte mit bierschwerem Atem: „Ich bin du, und du bist Ich; wo immer du bist, dort bin Ich. In allem bin Ich verstreut, und wann immer du willst, sammelst du Mich; und Mich einsammelnd, sammelst du dich selbst.“
Irmgard nickte und schickte ihn dann doch los, neues Bier zu beschaffen. Ich kenne die beiden nun schon so lange und irgendwie ändert sich bei ihnen außer Sommerzeit und Winterzeit kaum etwas je.