War da ein hämischer Glimmer in den Augen des Personalchefs gewesen, als er mir die Rechte schüttelte, um mich im Team willkommen zu heißen und eher beiläufig sagte: „Sie werden sich das Büro mit der Zobel teilen.“
Das Büro befand sich noch unter dem untersten, mit dem Fahrstuhl erreichbaren Stockwerk, ich folgte dem Chef die Treppe hinunter, er öffnete die Tür eines einem Verschlag ähnelnden Kämmerchens, in dem eine Frau an einem Schreibtisch über einer Akte brütete.
„Das ist der neue Mitarbeiter, Frau Zobel. Den werden Sie unter Ihre Fittiche nehmen. Wir haben das ja besprochen.“ Und zu mir gewandt, sagte er in feierlichem Tonfall: „Das ist unsere Frau Zobel, die wird sich ab heute um Sie kümmern.“
Dann schloss er die Tür hinter sich, seine Schritte dröhnten an der Zimmerdecke, als er die Treppe zum Fahrstuhl hinaufeilte.
Die Zobel hatte bisher keinerlei Notiz von mir genommen; ich zögerte, mich unaufgefordert auf den zweiten Stuhl zu setzen, aber es half ja nichts.
Sie griff hinter sich und schob wortlos eine fleckige Akte auf mein Drittel des Schreibtischs. Ich bedankte mich, aber meine Stimme klang schrill und laut.
Das Alter der Zobel schätzte ich auf 38 bis 65 Jahre, sie trug wie ich einen grauen Einteiler, den die Firma allen Mitarbeitern gegen eine Schutzgebühr stellt und der auf dem Gelände verpflichtend ist. Während der Mittagspause saß ich in der Kantine und überlegte, wie es mir gelingen könnte, den Eispanzer der Zobel zu durchbrechen.
Ich erstand am betriebseigenen Kiosk ein Kartenspiel und ging zurück ins Büro. Die Zobel hatte nicht oben Mittag gemacht, sie hatte lediglich den Abluftschacht geöffnet, der unserem Verschlag statt eines Fensters als Sauerstoffquelle diente und sah missbilligend an mir vorbei, als ich mit einem emphatischen „Mahlzeit!“ das Kämmerchen betrat.
Ich packte das französische Blatt heraus, mischte es einmal, mischte es zweimal und sagte: „Wussten Sie eigentlich, dass es mehr Möglichkeiten gibt, ein Standarddeck von 52 Spielkarten neu zu ordnen, als es Sterne in der Milchstraße gibt? Die Zahl der Kartenanordnungen ist so groß, dass jedes Mal, wenn man das Deck gut mischt, es sehr wahrscheinlich ist, dass diese spezielle Reihenfolge der Karten noch nie zuvor existiert hat und wahrscheinlich auch nie wieder existieren wird.“
Hatte ich gehofft, dass dieses Faktoid ihre Laune heben würde, hatte ich mir etwas vorgemacht. Das Schweigen der Zobel erdrückte mich bis zum Betriebsschluss. Ich beeilte mich, nach Hause zu kommen; die Zobel blieb.
Sie war auch schon im Büro, als ich am anderen Morgen die Tür öffnete und wenn ich geglaubt hatte, dass sich ihre Stimmung über Nacht gebessert hätte, sah ich mich eines Besseren belehrt. Nicht einmal das Honigtöpfchen, das ich der Zobel am Büdchen gegen Ende der Mittagspause gekauft hatte, um sie an meiner Liebe für den Honig teilhaben zu lassen, änderte etwas an ihrer Gemütslage.
Ich verkniff mir die Ausführungen darüber, dass mir der Honig das liebste Lebensmittel sei, weil es ihm unmöglich ist zu verderben, dass Archäologen 6000 Jahre alten, genießbaren Honig gefunden habe, dass Honig damit das ideale Freundschaftsgeschenk wäre. Sie nahm das Töpfchen nicht einmal an. Wir brüteten weiter über unseren Akten und schwiegen bis zum Feierabend.
Am dritten Tag war es dasselbe Bild; ich versuchte ein Lächeln oder zumindest die Anerkennung meiner Person von der Zobel zu ergattern und sie schwieg feindselig.
Nach der Mittagspause setzte ich gerade an, sie zu fragen, ob sie denn wüsste, dass das Fell des Zobels im Russland des 19. Jahrhunderts so wertvoll war, dass die Adligen ihre Steuern beim Zaren in Fellen entrichten konnten, da stand sie hitzig auf und zischte mir zu: „Schweig! Dummes Geschwätz! Denkst du etwa, ich bin hier unten aus Gnade und wir sind hier zur Belohnung?“
Sie pausierte, öffnete den Abluftschacht, und drehte sich noch einmal zu mir um und sagte: „Nein, es war zu meiner Strafe. Aber jetzt, jetzt habe ich genug, ich kann nicht mehr. Deine Geschichten, diese unsägliche, unerträgliche Einfalt, die jedes deiner Worte umhüllt, lassen mich jede Konsequenz und jede Sanktion vergessen. Es ist für mich die Zeit gekommen, Maßnahmen zu ergreifen.“
Die Zobel zwängte sich in den Schacht und fuhr auf, Richtung Himmel. Ich schaute ihr nach, bis sie meinen Blicken entschwunden war, was ziemlich dauerte, da ihre Himmelfahrt recht langsam vonstatten ging. Ich wunderte mich gehörig, schloss dann aber doch den Abluftschacht, denn mir fröstelte mit einem Mal.